Superamas im brut: „Why?“, 100 Jahre Krieg
Seit vielen Monaten beschäftigen sich die Mitglieder des KünstlerInnen-Kollektivs Superamas mit Krieg, Terror und Gewalt. Ausgangspunkt ist der Erste Weltkrieg. Im brut zeigte die Superamas einmalig die Performance "Why?" als weiteres Ergebnis der aufwändigen Recherchearbeit.
Vor hundert Jahren fand vor Verdun (Westfront) zwischen Deutschland und Frankreich eine der bedeutendsten (verschaffen 100.000 Tote auf beiden Seiten der „Hölle“ dieses Epitheton?) Schlachten des Ersten Weltkrieges statt. Nach einem 10 Monate ((Februar bis Dezember 1916) dauernden Gemetzel muss die deutsche Armee unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die Schlacht von Verdun ist zum Mythos und Symbol geworden, die Berichte glorifiziert, verzerrt, verfälscht. Dies mag als Erklärung dienen, wieso Superamas an „100 Jahre“ erinnern, doch der Erste Weltkrieg und die runde Zahl ist nur Anlass für ein globales Nachdenken. Dazu hat das Team intensive Recherchen in vielen Richtungen betrieben. Ein Ergebnis des Forschens, Nachdenkens, Debattieren und Philosophieren war im Februar 2016 im Tanzquartier zu sehen. „War and Terror“ zog, wie französische Politiker (Superamas ist in Paris gegründet worden und besteht im Kern aus Franzosen und Belgiern) eine Parallele zwischen dem Krieg damals und dem Terror heut. Mit Live-Diskussionen, Berichte von Workshops und Filmausschnitte boten Superamas weniger eine Show als die Möglichkeit den Horizont etwas zu erweitern und die Blickrichtung zu verändern.
Das mag manche enttäuscht haben. Der 2. Teil der Vorarbeit für die Performance, die im November unter dem Titel „Vive l’armee!“ im Tanzquartier zu sehen sein wird, ging einmalig im brut über Bühne und Balkon. Auf diesem treffen einander zwei Dämchen im Pelz (Judith Rohrmoser, Sophie Resch), schlürfen Champagner und diskutieren über Sinn und Unsinn, Notwendigkeit und Schande des Krieges. Der Text stammt vom französischen Autor Roger Martin du Gard, der 1937 für seinen im deutschen Sprachraum kaum bekannten Familienroman „Les Thibault“, einem Abgesang auf das bürgerliche Zeitalter, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden ist. Aus diesem 800 Seiten starken Werk haben die Darstellerinnen zitiert. Ein schöner Kunstgriff der Regie. Der Krieg, männlich konnotiert und verursacht, wird von Frauen betrachtet. Eigentlich sind es drei, die da zusammenkommen, zwei Brüder und ein Freund. Die zwei Freund (bei Superamas eben Freundinnen) sprechen aus dem off, mit ausdrucksvoller Miene und jeweils geöffnetem Mund agieren sie stumm hinter der Glasscheibe. Der jüngere Bruder ist irgendwo hinter den Bäumen, ihm wird nur gewunken.
Gut, die Debattierenden spazierten im Park, das Publikum macht eine Wanderung von oben nach unten und nimmt im Zuschauerraum Platz. Dort sieht es auch die kleine Schwester (Karin Yoko Jochum), die (noch) nicht viel zu sagen hat, weil sehr jung. Doch die zierliche Darstellerin belebt ein wenig die Lesung von Pierre-Emmanuel Finzi, der zwar perfekt Deutsch spricht, doch beim Lesen ganz französisch klingt und sich mehr für Film interessiert als für den Krieg. In seiner Biografie steht, er habe Geschichte studiert. Sei’s drum. Mitgewirkt hat nämlich auch die Pianistin Clara Frühstück, die am Flügel mit (sic) Werken renommierter Komponisten spielt, uns unterhält und schließlich mit Kriegsgetöse die Lesung übertönt.
Vom Text des Martin de Gard (klar und deutlich gesprochen von den Damen) hätte ich gern noch mehr gehört, die Diskussion der beiden Freundinnen bewirkt genau das, was Superamas sich wünscht: Mitdenken, Nachdenken, Umdenken, Gedenken, Bedenken.
Superamas: „Why?“ 100 Jahre Krieg, 29.4.2016, brut.
Roger Martin du Gard: Die Thibaults. Die Geschichte einer Familie, dtv, 2003. Die Ausgabe ist nur noch im Antiquriat erhältlich.