Nikolaus Adler: „Balthazar“, ein Tanzstück
Inspiriert von der Schlussszene in Robert Bressons „Au hasard Balthazar“ hat Nikolaus Adler mit seinen Tänzer_innen einen Abend choreografiert, der nicht nur vom Tod (eines Esels) erzählt sondern vor allem vom Leben und von der Natur. Die Erinnerungen an den Film bleiben wach, der Tanz wechselt zwischen konkreter Erzählung und abstrakten Bewegungssequenzen. Ein Abend perfekten Tanzes der breiten Raum für eigene Gefühle lässt. Eine eindrucksvolle Uraufführung im Hamakom Theater.
Im Film „Zum Beispiel Balthazar“ (1966) erzählt Bresson von den Stationen des Esels Balthazar, der nach einem lustigen Leben mit den Kindern immer mehr Leid ertragen muss und schließlich aus einer Schusswunde blutend inmitten einer Schafherde stirbt. Der Esel ist nicht allein, mit ihm leben Menschen, deren Schicksal oft parallel abläuft. Adler imitiert jedoch nicht den Film, benutzt aber die Methode Bressons, die Schauspieler als „Modelle“ agieren zu lassen. Sein Team (Laura Fischer, Katharina Illnar, Pauline Stöhr, Etienne Aweh, Ardee Dionisio, Florian Pizana) hat an der Choreografie mitgearbeitet, eigene Erfahrungen und Erinnerungen eingebracht, die Adler zu einer stimmigen Choreografie verarbeitet hat. Die Tänzer_innen bewegen sich präzise in Solos, Duos und besonders schön und synchron in der Gruppe. Sie sind Menschen und Schafe, Esel und Hund, Liebespaar und Eltern mit Kind und erzählen auch, wie der Film gemacht ist, wie Bresson das Sterben (des Esels) – nicht – zeigt.
Schon im Bühnenbild wird die Verbindung zwischen Tanz und Film hergestellt. Sarah Haas lässt aus dem Tanzboden mit zwei weiße Bahnen wachsen, die in das Filmbild, die Natur, führen. Die Bäume hängen verkehrt vom Plafond. Wenn die Performer_innen entspannt auf der sommerlichen Wiese liegen, liege ich mit ihnen im Gras und blinzle in die Sonne. Wenn Adler das Set beschreiben lässt, werden die Ohren zu Augen, ich sehe den Hang und die Schafherde, höre das Kreischen eines Vogels, das Schafsgeläute, sehe den leblosen Esel. Dazu müssen die Tänzer_Innen nicht auf dem Boden kriechen, nicht bellen und das Bein strecken. Wie sie allerdings durch Schnalzen die beschriebenen Schafsglocken imitieren, muss entzücken.
Intensive abstrakte Bewegungssequenzen, wechseln mit konkretem Witz, etwa wenn das Ensemble von den Merkmalen des Esels erzählt. Die Szenerie und damit die eigene Emotionsflut ändert sich, unterstützt von der akkuraten Lichtregie und der Musik (Arrangements und Kompositionen Martin Klein), ständig. Freude und Lebenslust sind ebenso zu erleben, wie kreatürliches Leid und menschliche Trauer. Dabei bewegen sich die Tänzer_innen in ausdrucksvollen Gesten, Gefühle sollen sie nicht zeigen sondern erzeugen. Dass sie dennoch keine seelenlosen Wesen (wie der geschundene Esel) sind, nicht nur agieren, auch am Spiel beteiligt sind, ist nicht zu übersehen. So genau Adler, dessen Ballettvergangenheit auch im Tanzvokabular unverkennbar ist, arbeitet, so hat er doch seinem exzellenten Ensemble ein wenig zu viel Freiheit gelassen. „Modelle“ à la Bresson sind sie keineswegs, zu viel von der Persönlichkeit (und persönlichen Geschichten) bricht durch.
Der Tod ist ein Teil des Lebens, auch damit mussten sich Adler und seine Tänzer_innen auseinandersetzen. Wenn die Esel (das sind wir alle) jeder für sich einsam das Leben aufgeben, bleibt das Publikum lange stumm. Dann aber brandet der Premierenapplaus hoch.
Adler ist ein sorgsamer Arbeiter und hat das Experiment der Verschmelzung von Film und Tanz, die jeweils eine andere Sprache haben, nicht gescheut. So hat er ein bewegtes und bewegendes Tanzstück kreiert, das, in weiten Teilen allgemein verständlich, auch ein Publikum inspirieren und beeindrucken kann, das keine sogenannten Stars braucht, um zu applaudieren.
Nikolaus Adler: „Balthazar“, ein Tanzstück im Theater Nestroyhof / Hamakom. Premiere 28.4.2016 Nächste Vorstellungen: 4., 6., 7.5. 2016.