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Kenneth MacMillan: „Mayerling“ – Aufgefrischt

Rudolf und Mary: Irina Tsymbal, Roman Lazik. © Wr Staatsballett / M.Pöhn

Immer wieder begeistert Kenneth MacMillans Choreografie von „Mayerling“, dem Ballett mit dem Kronprinzen Rudolf als zentrale Person. Roman Lazik ist ein gehemmter, zweifelnder, unglücklicher Prinz, von Vater und Mutter im Stich gelassen, todessehnsüchtig und zerrissen. Nur in der Taverne mit Mizzi Caspar und Alkohol kann er sich gehen lassen. Das Publikum ist vom Aufmarsch historischer Personen etwas überfordert.

In vielen übergangslos aneinander gereihten Szenen, die Rudolf in seiner Beziehung zu den verschiedenen Frauen (von der eiskalten Mutter Elisabeth bis zur einfühlsamen letzten Gefährtin Mary) zeigen, erzählen MacMillan und der Librettist Gillian Freeman nicht nur vom Ende des Kronprinzen sondern in einem fulminanten Tanz auf dem Vulkan vom Ende eines Reiches. An den Pas de deux kann man sich nicht sattsehen. Komplizierte Hebungen, für die Augen kaum entwirrbare Verschlingungen und Verwicklungen der Gliedmaßen steigern sich in dramatischer Erotik bis zum unvergleichlichen Schluss Duett. Lazik, ein feiner Danceur noble, spielt den in einem Strudel abwärts gezogenen Rudolf intensiv und glaubwürdig. Bis an die Schmerzgrenze. Irina Tsymbal als unvergleichliche Mary Vetsera zeigt eindringlich den Wandel vom anfangs unbedarften jungen Mädchen zur verständigen Frau, die Rudolfs Todessehnsucht teilt.
Tsymbals Mary ist keine eindimensionale Figur, die Rudolf hündisch anbetet, im letzten Liebesduett, bevor Rudolf zur Pistole greift, kann man sogar hoffen, dass diese junge Frau mit dem nicht nur nach dem Tod Süchtigen auch das Leben teilen könnte. Bei diesem aufwühlenden Pas de deux muss der Atem angehalten werden, um nicht vor Mitleid und Schrecken aufzuschreien. Irina Tsymbal, Rudolfs letzte Geleibte Mary Vetsera. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Auffallend auch die junge Halbsolistin Natascha Mair als missachtete, gedemütigte Ehefrau Stephanie. Tänzerisch perfekt, hat sie seit ihrem Rollendebüt 2014 auch die Darstellung verfeinert. Stephanies Schwester ist Kollegin Nina Tonoli, die ihre Rolle ebenfalls schon 2014 studiert hat.

Liudmila Konovalova debütierte als Mizzi Caspar, der Lieblingsfreundin Rudolfs, und meistert auch diese Rolle, wie jede andere, mit Bravour und Finesse. Mir war sie ein wenig zu fein, die Mizzi (eine historische Person wie das gesamte von MacMillan auf die Bühne gestellte Personal) war immerhin eine „Soubrette“, wie käufliche Damen euphemistisch genannt worden sind. In ihrer Interpretation gibt Alice Firenze der Mizzi die nötige ordinäre Unverfrorenheit. Nicht als Tänzerin, da hat auch sie gewagte Sprünge, Drehungen und ist mit Rudolf verwickelt , doch als lebendiger Mensch steht Mizzi auch auf MacMillans Bühne mit beiden Beinen fest auf der Erde. Rudolfs Ansinnen mit ihm zu sterben, weist sie entsetzt zurück. Er muss sich eine andere suchen und findet sie auch.

Kaiserin Elisabeth und ihr Geliebter (Chivarova, Peçi). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Als vor allem um ihre Schönheit besorgte Kaiserin Elisabeth gibt Iliana Chivarova (Halbsolistin, im Ensemble seit 2004) ein bemerkenswertes Debüt. Der schönen, eleganten Kaiserin nimmt man den erwachsenen Sohn nur ungern ab. Ketevan Papava ist eine hinreißende Gräfin Larisch. Wie eine Tigerin springt sie den ihr entgleitenden Kronprinzen an, zeigt Bein in perfekter Technik, ist liebend und verliebt und , wie man weiß, auch hinterlistig und intrigant.

Warum MacMillan den Leibkutscher Bratfisch als Kasperl charakterisiert, kann ich nicht ganz verstehen. Klar, Davide Dato, erntete schon 2014 reichlich Applaus für seine beiden Solos, doch ist diese Clownerie für mich weniger Auflockerung des dramatischen Geschehens als unwillkommene Störung. Nicht unerwähnt aber sollen die vier in den Umbaupausen aus verborgenen Ecken springenden Ungarn sein. Marcin Dempc, Alexis Forabosco, Alexandru Tcacenco machen gute Figur, können aber mit dem explodierenden Temperament (und dem eindrucksvollen Schnauzbart) von Masayu (Samurai) Kimoto nicht mithalten. Geschmeidig meistert er auch den Linkswalzer bei der Hochzeit (1. Akt), was nicht allen „Ungarn“ gegeben ist.Mizzi Caspar, Rudolfs Lieblings-Soubrette (Konovalova). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Die umher wuselnden Hofdamen, Zofen und Soubretten in der Taverne kamen am ersten Abend mit der von John Lanchbery arrangierten an den Nerven zerrenden Musik von Franz Liszt nicht zurecht. Das mag auch am Dirigenten Faycal Karoui gelegen sein, der bei seinem Mayerling-Debüt an d er Staatsoper vor allem auf Lautstärke und Tempo Wert legte. Am zweiten Abend geht er es temperierter an, arbeitet die Pianostellen fein heraus, lässt das Orchester wunderbares Legato spielen und steigert die Dramatik wie es MacMillans Choreografie vorsieht. Die Damen sind sicherer geworden, das Ensemble wirkt homogen.

Beide Vorstellungen waren gut verkauft, doch ließ der Applaus zu wünschen übrig. Wer die Geschichte des Habsburger Hauses nicht kennt, ist verwirrt und überanstrengt, da wird den großartigen Solist_innen und auch dem Ensemble der Jubel versagt. Dass dieses üppige Historienpanorama auch schon ein wenig Patina angesetzt hat, ist jedoch nicht zu leugnen.

Kenneth MacMillan: „Mayerling“, Ballettdrama um Kronprinz Rudolf in drei Akten. Musik: Franz Liszt, arrangiert und orchestriert von John Lanchbery, Libretto: Gillian Freeman, Bühnenbild und Kostüme: Nicholas Georgiadis.
Gesehen am 2. Und 4. Mai 2016.
Weitere Vorstellungen: 15. Und 19. Mai 2016, mit Kirill Kourlaev als Kronprinz Rudolf und Nina Poláková als Mary Vetsera. Am 19. Mai gibt Kourlaev seine Abschiedsvorstellung.