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Arachne, die Spinnerin und das www

Arachne: Vom Weben, Spinnen und von Spinnern

Der Verein zur Rettung der Dinge mit Peter Ketturkat und Karin Bayerle ist wieder im Dschungel Wien zu Gast und lädt zu einem Tauchgang in die griechische Mythologie ein. Von Arachne, der Weberin, wird erzählt, die Athene verärgert, und vom Hirten Paris, der den Göttinnen den Schönheitspreis verweigert, den goldenen Apfel Helena zuschupft und damit den Trojanischen Krieg auslöst. Arachne oder vom Anfang des World Wide Web ist für Kinder ab 10 ebenso geeignet wie für Erwachsene.

Der Widder, bei der Probe hatte er noch ein goldenes Vlies, doch das ist ein anderer Bock Damals vor gut 3000 Jahren saß Frau Arachne an ihrem Webstuhl und verwob die gekämmte Wolle eines Widders zu wunderbaren Bildern. Das wurde noch kein weltweites Netz, dessen Mosaikteilchen wir unter der Adresse www. kennen, reichte aber immerhin bis in den Olymp, wo die griechischen Göttinnen und Götter sitzen. Athene, die sich zugutehält, das Spinnen und Weben erfunden zu haben, nimmt es der Weberin übel, dass die gewöhnliche Menschenfrau schönere Teppiche erzeugt als sie selbst, und weil die griechischen Göttinnen und Götter zaubern können und gar nicht zurückhaltend damit umgehen, verwandelt sie Arachne kurzerhand in eine Spinne. Der Name ist geblieben, Biolog:innen nennen die Spinnentiere, eine Klasse der Gliederfüßer mit über 110.000 bekannten Arten, Arachnoiden. Manche Menschen fürchten sich vor Spinnen, doch die meisten weben ihre Netze, ohne die Menschen zu beachten. Hier ist eine 10 mm große Rindenspringspinne abgebildet. © Wikipedia Die gekränkte Athene findet jedoch einen weiteren Grund, sich zu ärgern. Der trojanische Hirtenjunge Paris war im Schönheitswettbewerb als Schiedsrichter erkoren worden und musste sich zwischen der Zeusgattin Hera, der schönen Aphrodite, der weisen Athene und der Gemahlin von Menelaos, des Königs von Sparta, Helena, entscheiden. Das fiel ihm allerdings nicht schwer, denn Helena war schon im gesamten Hellenistischen Reich als die Schönste bekannt und von sämtlichen Männern umworben. Paris nimmt die schöne junge Frau mit nach Troja, was weder Menelaos noch seinen Kollegen, den anderen Griechenfürsten, gefällt. Nach Rache dürstend, rotten sich die Männer zusammen, wetzten ihre Messer, setzten die Segel und ziehen in den Krieg gegen Troja. Die Puppen der Puppenspielerin Karin Bayerle: Athene im roten Kleid und die Weberin Arachne. Als Kriegstreiber und falscher Ratgeber mischte sich auch der Beherrscher Ithakas, der listenreiche Odysseus, wie ihn der Dichter Homer genannt hat, ein. So führt eine Geschichte zur anderen und der Erzähler kann einen bunten Teppich weben, ohne je den Faden zu verlieren. m Dschungel Wien ist der Erzähler ein Schafbock – Peter Ketturkat steht mit beeindruckendem, selbstgemachtem Widderkopf auf der Bühne –, der seinen Faden spannt und spinnt, niemals schief auf die Spindel wickelt und das Schiffchen, ohne sich zu verhaspeln, hin und her sausen lässt. Dennoch wird er am Ende zum Sündenbock gemacht, immerhin hat mit dem schlecht riechenden braunen Vlies das ganze Schlamassel begonnen.Objekte zum Trojanischen Krieg, entworfen und aus vorhandenem Material gebaut von Peter Ketturkat. An die 50 Objekte (Dinge, die gerettet werden) haben Ketturkat und Bayerle wieder im Einsatz, um das Publikum so richtig einzuspinnen. Der große Webstuhl dominiert die Bühne, das Leinentuch wird zur Leinwand, auf der Odysseus und Thersites, der gewöhnliche Soldat, der den Krieg längst satthat und nach Hause segeln will, zu sehen sind. Auch Arachne, Athene oder die Zwietracht stiftende Göttin Eris erscheinen, und wie alle Figuren des Gewebes, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch höchst lebendig als Handpuppen auf den kleinen Bühnen. Diese erscheinen, wenn der Theaterdirektor und Darsteller Ketturkat die Laden der beiden Kommoden öffnet und senkrecht stellt. Überraschung und Zauberei. Erysichthon, König von Thessalien, auch so ein Widerling. Rücksichtslos spaltete er den der Göttin Demeter gewidmeten Baum, weil er nach  dem Holz gierte. Er starb an unermesslicher Fressgier, die ihm die Göttin anhexte. Schließlich fraß er sich selbst auf. 55 Minuten lang, nicht zu vergessen, mit einem zweiten Erzähler, Benedikt Etzl, ohne Widderkopf, doch mit einer Posaune. Mit der begleitet und koloriert er die Szenen so plastisch und ausdrucksstark, dass man meint, dieses goldglänzende Blasinstrument spräche.  
Wenn man will, kann tatsächlich einen Faden vom analogen Webstuhl Arachnes bis ins digitale Netz spannen. Unsinniges Geschwätz gab es damals und gibt es heute. Eris ist zur Waffenhändlerin geworden, die das Hauen und Stechen anfeuert, Odysseus verbreitet falsche Meldungen und die Gier herrscht nicht nur im Olymp der Millionäre. Peter Ketturkat experimentiert: Wie wird aus gefundenen Ästen ein alter Webstuhl?Dass Odysseus, Urbild eines Kapitalisten, gerade jetzt vielerorts an die Rampe tritt, sollte zu denken geben. Doch dieses mythische Gewebe zeigt auch Bilder des Mitleids, der Freundschaft und Liebe. Niemand und nichts exisitiert allein: Alles ist mit allem verwoben. Dass die Welt ein einziges, aber auch kompliziertes Gewebe ist, ist in den Mythen vieler Kulturen verankert.
So kann sich jede und jeder das herausnehmen, was gerade nötig ist. Wovon der Widder nicht erzählt, sind die vielen Arbeitsstunden der geschickten Hände, das Schmalz des Gehirns und die Bilder der Fantasie die das Team im Verein zur Rettung der Dinge beflügeln.

Verein zur Rettung der Dinge: Arachne oder vomAnfang des World Wide Web, ein Theaterereignis mit Puppen, visuellen Medien und Musik für Menschen ab 10 Jahren nach Schriften von Homer, Hesiod, Ovid und anderen. Uraufführung im Dschungel Wien, 17. Dezember 2023.
Mit: Peter Ketturkat, Karin Bayerle, Benedikt Etzl
Konzept + Bühne: Peter Ketturkat / Puppen: Karin Bayerle / Musik: Jon Sass, Benedikt Etzl / Sprecher_in: Wolfram Berger, Michou Friesz, / Puppenregie: Andrea Gergely / Video: Thomas Keip
Fotos: © Karin Bayerle