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Das Meer hinter ihm, die Heimat vor ihm

Das TAG Ensemble in Aktion: Wer ist Odysseus?

21 Metronome ticken auf der weiß ausgeschlagenen Bühne und geben dem Theater-Publikum Zeit, über Odysseus, den Heimkehrer, zu sinnieren. Joachim Schloemer hat mit dem Ensemble des TAG diese Heimkehr des Kriegshelden inszeniert und choreografiert und zeigt den Heroen des Trojanischen Krieges aus neuen Perspektiven. Die Uraufführung des bewegten Theaterstückes Odyssee – Eine Heimkehr ist am 13.12. an der Gumpendorferstraße mit heftigem Applaus bedankt worden.

Die Metronome werden in Gang gesetzt und versetzen das Publikum durch den Pendelschlag und das monotone Ticken in Trance. Wer war denn dieser antike Heroe, von dem Homer berichtet, überhaupt? Odysseus, der Krieger, Herrscher, Ehemann, Vater und Hundebesitzer ist immerhin schon an die 3000 Jahre bekannt und lebendig. Seine Reise dient als Metapher für ein schwierig zu erreichendes Ziel; Homer hat ihn besungen, Claudio Monteverdi ihm eine Oper gewidmet; Hollywood hat seinen Irrfahrten, der Odyssee, Monumentalfilme gewidmet, die Franzosen haben ihn zur Trickfilmfigur gemacht. Der irische Schriftsteller James Joyce nennt ihn Leopold Bloom, dessen Reise nicht viele Jahre, sondern nur einen Tag dauert, doch der hat’s in sich: 587 Seiten in der 7. Auflagen von 2006. Der Choreograf Nikolaus Adler hat 2020 Odysseus’ Reise und Heimkehr als Tanz-Performance mit vier Tänzer:innen im WuK gezeigt. Wenig Worte, viel Bewegung, einprägsame Bilder! Die kleinen Maschinen werden in Gang gesetzt. Sie  sehen aus wie fromme Nonnen, unaufhörich drohen sie mit ihrem Stab.
Auch Choreograf Joachim Schloemer bewegt das fünfköpfige Ensemble ohne Pause. Kaum haben die Darsteller:innen der in Ithaka Zurückgebliebenen die Bühne betreten, werden sie unruhig, durchqueren mit kleinen Schritten den Raum, heben die Arme, neigen die Hüften, biegen die Hälse. Der Choreograf lässt die Darsteller:innen als flexiblen fünfteiligen Körper, der sich ständig verändert, agieren. Immer wieder ordnet die Figur sich neu, dehnt sich weit aus und schrumpft wieder zusammen, reiht sich in einer waagrechten Line, als Fünfeck oder erscheint als Kreis.
Doch am Anfang ist die Bühne leer, die 20 Metronome lassen an die 20 Jahre denken, die der kluge Unglückselige (Homer) fern der Heimat war, so fern, dass er sie nicht mehr erkennt. Die Taktwächter machen Musik, in ihrem eigenen Rhythmus, das menschliche Gehirn ist irritiert, sucht nach Synchronizität. Die fünf Darsteller:innen agieren als ein Körper, der ständig in Bewegung ist. Die Eintönigkeit eines tickenden Metronoms und die Mehrtönigkeit vieler wusste auch der Komponist György Ligeti zu schätzen: Sein Poème symphonique wird von 100 Metronomen gespielt. Hypnotische 25 Minuten. Schloemer kommt mit weniger aus, die Trancegefahr wird bald gebannt, wir sind im Sprechtheater. Die Maschinen, die in ihrer dunklen Schale mit der hellen Skala wie winzige Nonnen aussehen, verstummen nach und nach, nur die letzte, die 21., gibt nicht auf und hält durch, bis die Geschichte beendet ist. Die fünf Personen, die sich an Odysseus erinnern, ihn vermisst oder in die Unterwelt gewünschte haben, berichten, was sie von ihm zu wissen glauben. Wer ist dieser Mann? Penelope kennt einen anderen als Telemachos, die Amme erinnert sich an einen anderen als der Schweinezüchter und wie der Hund, Argo, sein Herrchen gesehen hat, bellt er uns auch entgegen. Vor seiner Hütte erzählt auch Hund Argos, was er von seinem Herrn hält. Während die einzelnen Übriggebliebenen im herrenlosen Haushalt ihre Erinnerungen und Meinungen ausbreiten, sind die fünf Teile des darstellenden Körpers in unaufhörlicher Bewegung. Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel und Georg Schubert brillieren durch deutliche Aussprache und physische Ausdauer und phänomenale Atemtechnik. Erschöpfung nach dem Gemetzel, das der rachedurstige Heimkehrer veranstaltet hat. Telemachos erlebt es erzählend noch einmal.
Odysseus ist keineswegs ein Held aus dem Sagenbuch, selbst Homer muss immer wieder zugeben, dass er ein Mistkerl ist. Gerissen und verlogen nennt er ihn und auch Kriegshetzer und Räuber. Der Krieg hat ihn zum Monster gemacht, wie er am Ende mit den Freiern in seinem Haushalt, die die verlassene Penelope umschwirren und sich in Küche und Keller bedienen, umgeht, ist eine Blutorgie, bei der er keinen Unterschied zwischen seinen Rivalen und zufällig anwesenden Personen macht. Der Krieg hat ihn dazu gemacht. Das formidable Ensembel des TAG: Michaela Kaspar, Jens Claßen, Lisa Schrammel, Raphael Nicholas, Georg Schubert. Schloemer lässt die jahrtausendealte Geschichte nicht einfach so stehen, sondern verortet sie im Heute. Nicht nur in der Ukraine, auch im Nahen Osten gebiert der aktuelle Krieg wieder Monster und Bestien. Sie werden als Helden Ehrenkreuze und Medaillen erhalten.

Joachim Schloemer: Odyssee - Eine Heimkehr, frei nach Homer. Uraufführung im TAG: 13. Dezember 2023.
Text, Regie und Choreografie: Joachim Schloemer; Ausstattung: Anne-Sophie Raemy; Musik: Tom Schneider; Licht: Katja Thürriegl
Es spielen: Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert
Fotos: © Anna Stöcher
Nächste Termine: dastag.at