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Seltsame Wesen tanzen im Nebel zu Technogewummer

Heiter und schwungvoll beginnt „Beethoven 7“ von Sasha Waltz

Sasha Waltz war mit ihrer kleinen Kompanie Sascha Waltz & Guests im Festspielhaus St. Pölten zu Gast. Beethoven 7 nennt sie den Abend, der im heurigen März in Berlin uraufgeführt worden ist. Doch Beethovens 7. Sinfonie allein scheint der Choreografin nicht zu genügen. Sie bietet zur Einleitung ein Kontrastprogramm: Elektronische Musik von Diego Noguera, die nicht nur die Körper der Tänzer:innen zum Vibrieren bringt. Das für Sasha Waltz & Guests komponierte Werk nennt Komponist Noguera Freiheit/Extasis. Seit 2019 lebt er in Berlin und gilt als einer der wichtigsten Kreativen der experimentellen Theater- und Musikszene.

„Freiheit/Extasis“: Seltsame Wesen bewegen sich zu Techno-Beats. ( Hwanhee Hwang)Während seltsame Wesen mit Fliegen- oder Ameisenköpfen auftauchen und sich ungelenk im immer wieder aufsteigenden Nebel bewegen, lässt Noguera an den Reglern die Beats los und die Bässe dröhnen. Dass es laut wird, wird schon im Programmheft gewarnt, Ohrstöpsel werden verteilt. Doch die Bassrhythmen dringen bis in die Gedärme der Zuschauer:innen, ein sanfter Exodus setzt ein. Die 13 Tänzer:innen, barfuß und mitunter heulend, lassen sich nicht stören, spulen weiterhin ihr seltsames Ritual in der Dunkelheit, aber auch unter gleißendem Licht ab. Sasha Waltz lässt sich keinen Effekt entgehen, zeigt die Hölle, in der sich diese Tiermenschen offenbar befinden, auch in einer brandroten Nebelwolke. „Freiheit/Extasis“: Tanz im Höllenschlund (Im Vordergrund: Hwanhee Hwang, Rosa Dicuonzo).
Das Unheimliche, Fremdartige, die immer lauter und schneller werdenden Technorhythmen wecken das Interesse, die Bedrohung überspringt, im Gegensatz zu den raumfüllenden Klängen, die Rampe nicht. Noguera (und die Choreografin) haben auch nach 20 Minuten noch nicht genug, auch 30 sind zu wenig, jeder mögliche Schluss, etwa ein Bild, wen die 13 Tänzer:innen zu einer Skulptur zusammenwachsen und Frieden und Wohlbefinden möglich wären, wird übergangen. Es geht weiter und weiter, auch wenn die eckigen, zittrigen unkoordinierten Bewegungen sich erschöpfen. Langeweile macht sich breit.Annapaola Leso schwingt für Beethoven die Fahne. Das Ensemble nimmt keine Notiz davon. Das muss sich bei dem zentralen Stück des Abends, Beethoven 7 ändern. Und tut es auch. Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie in A-Dur, von Richard Wagner Apotheose des Tanzes genannt, vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich interpretiert und von Titus Engel geleitet, anzuhören, ist wahre Freude. Engel arbeitet schon im 1. Satz die tänzerische Energie der Komposition heraus, bringt die wieder barfuß tanzende Kompanie ebenso in Schwung wie das Orchester.
Doch die Choreografie bleibt Stückwerk, bietet nichts Neues, plätschert eher angenehm dahin. Das mag auch daran liegen, dass Waltz den 2. und 4. Satz der Sinfonie bereits 2021 für das Beethoven-Projekt des TV-Senders ARTE choreografiert hat. Dann bekam sie, wie sie sagt, „Lust auf die gesamte Sinfonie“.„Beethoven 7“: Gestreckte Arme, gespreizte Finger, Präzision und Gleichklang. Der erste Satz erfreut mit hellen Kostümen, schwingenden Kleidern der Frauen. Dann erscheinen die Männer in schwarzen Hosen mit nacktem Oberkörper, die Frauen tragen helle Trikots über den schwarzen Röcken. Getanzt wird barfuß, was das Trippeln und Stampfen im 3. Satz (Presto) effektvoll unterstreicht. Aber nicht nur die Füße werden bewegt, ausdrucksstark bewegen die Tänzer:innen auch die weit nach oben oder nach vorn gestreckten Arme und Hände mit gespreizten Fingern. Einmal läuft eine Tänzerin mit einer großen weißen Chiffonfahne über die Bühne. Ein schöner Effekt ohne Bedeutung. Schwungvoller Tanz mit Alltagsbewegungen gewürzt, eindrucksvolle Bilder, wenn die Gruppen einander gegenüberstehen oder sich vermischen, alle 13 synchron die Bühne queren oder die Hände zu Kronen über den Köpfen formen, beruhigend eher als aufregend. Sasha Waltz wie man sie kennt. „Beethoven 7“: Die Sätze zwei und drei sind bereits für das Beethovenjahr 2020, einem Projekt von ARTE, choreografiert und 2021 in Delphi zu ersten Mal gezeigt worden. Die Kompanie Sasha Waltz & Guests ist eher ein Kollektiv, in dem die Mitwirkenden keineswegs fix sind, dessen Größe sich dem Bedarf anpasst. Doch immer sind es ausgezeichnete, energiesprühende Personen, die, was immer sie zeigen, sehenswert und aufregend machen. Im aktuellen Abend waren sie durch die beiden so unterschiedlichen Kompositionen besonders gefordert. Alle dreizehn haben ihre Extraklasse bewiesen.

Sasha Waltz & Guests/ Tonkünstler-Orchester: Beethoven 7, Festspielhaus St. Pölten, 25.11.
Regie und Choreografie: Sasha Waltz. Kostüme: Bernd Skodzig, Federico Polucci. Licht: Martin Hauk, Jörg Bittner. Dramaturgie: Jochen Sandig, Christopher Drum.  „Beethoven 7“: Im Gleichschritt überquert das Ensemble die Bühne. Das Orchester gibt den Takt an. Tanz und Choreografie: Rosa Dicuonzo, Edivaldo Ernesto, Tian Gao, Eva Georgitsopoulou, Hwanhee Hwang, Lorena Justribó Manion, Sara Koluchová, Annapaola Leso, Jaan Männima, Sean Nederlof, Virgis Puodziunas, Sasa Queliz, Orlando Rodriguez.
Musikalische Leitung: Titus Engel; Orchester: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich.
Vorprogramm: Freiheit/Extasis, Komposition von Diego Noguera. Regie, Choreografie, Tanz: wie oben. Einmalige Vorstellung im Festspielhaus St. Pölten.
Fotos: © Sebastian Bolesch