„Kingx and Qweens“: Tanzakrobatik mit Tiefgang
Mit der Uraufführung eines fulminanten Tanzstücks haben die Choreografin / Regisseurin Corinne Eckenstein das jugendliche Publikum im Dschungel begeistert. Die Tänzerin Maartje Pasman, der Sänger und Tänzer Futurelove Sibanda und der Choreograf und Tänzer Joseph Tebandeke zeigen Bühnenpräsenz und extreme Körperarbeit. Vermittelt werden Erkennen des eigenen Potenzials, Selbstbewusstsein, Individualität und Gemeinschaftssinn.
Zu Beginn ist eine Erklärung fällig. Tippfehler passieren in allen Medien, auch in diesem, doch W anstatt QU ist keiner. Es war der Wunsch von Corinne Eckenstein, die auch ihre Idee für die Aufführung bühnenreif erarbeitet hat. Der nur scheinbar falsch eingeschobene Konsonant erinnert an die kleinen Kronen, die der früh verstorbene Künstler Jean Michel Basquiat so gern gezeichnet und gemalt und seinen Figuren verpasst hat. Könige und Königinnen können alle Hautfarben haben, groß, klein, singen können oder mit Krücken gehen. Das ist auch auf der Bühne zu sehen, wenn Maartje Pasman, Joseph Tebandeke und Futurelove Sibanda tanzen. Und sie tanzen nicht nur, sie erzählen von ihren Erinnerungen, Sehnsüchten und Schmerzen; sie zeigen erstaunliche Akrobatik, sie singen und raufen, purzeln übereinander, wollen König und Königin sind und haben am Ende des turbulenten, aufregenden Stückes verstanden, dass König und Königin auch jemanden brauchen, die / der sie sieht und ihnen auch beisteht. Die aufgeworfene, oder eigentlich die als Video an den blauen Wandstoff geworfene Frage, ob man alleine glücklich sein kann, ist leicht zu beantworten. „Nein“, um glücklich und mit der Welt im Einklang zu sein, braucht man die Anderen. Auch andere Fragen spielen eine Rolle, die Antworten müssen die Zuschauer:innen selbst finden. Verziert werden die eingeblendeten Sätze mit farbigen Graphiken, Mustern, Blumen und Pflanzen, dezent und erholsam, wenn das Trio auf der Bühne sich allzu wild gebärdet.
Ein als Ouvertüre erzähltes Märchen handelt von einem kleinen König mit einer wunderschönen Stimme. Doch eines Tages verliert er seine Stimme und kann nicht mehr singen. Der kleine König wird in einen Turm gesperrt und vergessen. Ohne Stimme kann man nicht um Hilfe rufen, doch der kleine König weiß sich zu helfen. Er nimmt die kleine Krone ab und klopft damit rhythmisch an das Fenstergitter. Ein wunderschöner Klang erschallt, der die Menschen glücklich macht. Doch sie wissen nicht, woher die hellen Töne kommen und wer diesen magischen Klang erzeugt. Es wird auch immer ein Geheimnis bleiben, mit dem kleinen König stirbt auch die Musik und niemand wird je erfahren, woher und von wem die Melodie gekommen ist. Schade! Alles klar? Jede und jeder hat eine Krone, sie / er muss sie nur aufsetzen und herzeigen.
Das vermitteln Pasman, Sibanda und Tebandeke in dieser energetisch aufgeladenen Vorstellung von „Kingx and Qweens“. Eckenstein verwendet sämtliche Medien, auch das junge Publikum ab 12 hat keine Chance, sich zu langweilen. Neben Tanz und Spiel, Gesang und halsbrecherischer Akrobatik erfreut auch die musikalische Begleitung, komponiert von Karrar Alsaadi. Es gibt kein Nebeneinander von Bühnenaktion und Medien, Bühnenbild und Objekten, jedes Puzzlestück fügt sich mit den anderen zusammen, damit ein großartiges Bild entsteht.
Magische Momente verbinden sich mit komischen Szenen, fürs Atem anhalten sorgt die behände Kunst von Joseph Tebandeke an der Stange, stabil gehalten von Pasman und Sibanda. In seinem Solo erzählt der aus Uganda stammende Choreograf und Tänzer, der sich nach einer Kinderlähmung nur mithilfe von Krücken fortbewegen kann, dass man ihn, wenn er seinen Beruf, Tänzer, nennt, auffordert: „Dann tanz uns mal was vor“. In einer Wiener U-Bahn-Station hat man ihm einen Euro zugesteckt. Auch wenn man ihn zu Hause wegen der Reise auf den fremden Erdteil beneidet: „Europa ist nicht das Paradies“, ist sein Resümee. Maartje Pasman trauert um ihre Vorfahren, die sie nie kennengelernt hat. Sie ist in den Niederlanden geboren, doch der Vater stammt aus Indonesien. „Wo gehöre ich hin? Ich fühle mich wurzellos“, schluchzt sie so tief und ehrlich, dass so manche Zuschauerin sich die Tränen aus den Augen wischt. Futurelove Sibanda, geboren in Nyamandlovu, Zimbabwe, erinnert sich in seinem Monolog an die verstorbene Großmutter, an seine Mama, die ihn wie eine Löwin zu tanzen gelehrt hat und auch an den kleinen Bruder, die alle weit entfernt leben. Doch er hat die Aufforderung am Schluss, „Trage deine Krone“, längst erfüllt. Durch seine zahlreichen Auftritte, auch im Dschungel, weiß Wien längst, dass er eine besondere Stimme hat, mit der er virtuos umgeht und auch als Schauspieler Erfolg hat. Auch, wenn Pasman und Tebandeke in ihren Soloauftritten über das sprechen, was sie bedrückt, tragen auch sie ihre Krone längst sichtbar. Nur die durch den Tag hastenden Menschen können sie nicht immer sehen.
Um die Diversität dieser eindrucksvollen, körperorientierten Performance zu vervollständigen: Musiker Karrar Alsaadi stammt aus dem Irak und die Chefin und Gründerin der neuen Gruppe, Unusual Beings, Corinne Eckenstein, ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen, was kaum zu überhören ist.
KINGX & QWEENS, Tanztheater für Publikum ab 12 Jahren. Uraufführung im Dschungel Wien, 6.10.2023
Konzept und Choreografie: Corinne Eckenstein, Joseph Tebandeke.
Musik: Karrar Alsaadi.
Bühne und Licht: Hannes Röbisch, Corinne Eckenstein; Kostüme: Kareem Aladhami. Videoanimation: Luciana Bencivenga.
Tänzerin: Maartje Pasman; Tänzer: Futurelove Sibanda, Joseph Tebandeke.
Fotos: ©: Rainer Berson; Probenbilder: © Corinne Eckenstein.
Nächste Vorstellungen: 7., 9., 10. Oktober 2023. Dschungel Wien.