Die Marie hat viele Gesichter
Marie, so heißt die Vorarlberger Straßenzeitung, eine soziale Auszeichnung ist die Sozialmarie und wenn eine Wienerin, ein Wiener von der Marie spricht, etwa „her mit der Marie“, sagt, dann meint er die Mäuse, die Moneten, die Kröten, das Geld eben. Die Gesichter der Marie im gleichnamigen Tanzstück der schallundrauch agency sind die von Milano Leeb, Bernhard Georg Rusch und Martin Wax. Nach mehreren vom Virus verschuldeten Verschiebungen haben sie endlich im Dschungel ihr wahres Gesicht gezeigt, waren stinkreich und hundsarm zugleich.
Premiere war am 27. Juni.
Weil man in den noblen Familien über Geld nicht spricht, könnte es sein, dass niemand weiß, wozu das Geld eigentlich gut ist. Die einen werfen es beim Fenster hinaus, bestellen online Säcke voller Unsinn, die anderen legen Scheine und Münzen unter die Matratze in der Hoffnung, dass es sich vermehre. Die drei singen und tanzen und erklären zwischendurch, was es mit Krediten und Zinsen auf sich hat, und das alles unter einem goldenen Himmel. Wer kein Geld hat, der meint, es stinkt, aber schon Vespasian (römischer Kaiser von 69 bis79) hat gesagt, dass Geld nicht stinkt und gleich versucht eine Klo-Steuer einzuheben. Ein heikles Thema, die Steuern, und noch viel heikler die Antwort auf die Frage, warum die einen so viel, viel zu viel, haben von der Marie und die anderen gar nichts. Auf der Bühne darf davon geträumt werden, dass alle das Gleiche haben, die Frauen und die Männer mit gleicher Münze belohnt werden und die Stinkreichen den Hundsarmen etwas von ihrer Marie abgeben.
Dazwischen wird gerappt und auf Schaumstoffinstrumenten Musik gemacht und dann soll Bernhard seine Schätze, die er bestellt (und vermutlich auch bezahlt) hat, aus dem großen Sack leeren, um zu teilen. Martin verzichtet weise und schwingt sich zum Schiedsrichter auf. Bernhard zittert um sein Eigentum, doch seine Gebete werden erhört. Milano muss sich dem Recht beugen, so blind, wie man meint, ist Justitia doch nicht, Bernhard bekommt sein Zeug, Brauchbares und Überflüssiges, wieder. Um den Ärger und die Wut über die Ungerechtigkeit der Welt loszuwerden, verwandeln sich Milano und Bernhard und Martin in Trolle und tanzen mit ganzer Energie den Trolltog. Der hat nichts mit den sich im Netz rumtreibenden Trollen zu tun, sondern ist ein norwegischer Tanz.
Ein schwieriges Thema, die Ökonomie oder Wirtschaft, Hauswirtschaft oder Weltwirtschaft, wird in 60 Minuten unterhaltsam aufbereitet. Da ist nicht viel Tiefgang zu verlangen. Ob davon mehr hängenbleibt als dein paar Fremdwörter und der Schaumstoff, der in Säcken geliefert wird? Die drei auf der Bühne sind jedenfalls mit wachem Geist und beweglichem Körper und sprudelnder Energie dabei.
schallundrauch agency: Marie, Uraufführung, 27.6. im Dschungel Wien
Regie: Gabriele Wappel; künstlerische Mitarbeit: Janina Sollmann
Stückentwicklung, Musik, choreografische Mitarbeit: Elina Lautamäki, Milano Leeb, Bernhard Georg Rusch, Martin Wax.
Performance. Milano Leeb, Bernhard Georg Rusch, Martin Wax.
Bühne, Kostüm, Lichtdesign: Albert Frühstück; Komposition, Playbacks: Elina Lautamäki; best boy: Silvia Auer.
Bühnenfotos: Amélie Chapalain.
Dschungel Wien: 27., 28., 29.6. 2023.