Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen
Das Wasser, Lebenselixier für Menschen, Tiere und Pflanzen, steht im Mittelpunkt des eindrucksvollen Tanztheaters Shallow Waters. Der Schweizer Regisseur, Tänzer und Choreograf Sebastian Zuber verzichtet auf viele Worte und zeigt mit sechs Tänzer:innen Bilder einer Welt, in der das Wasser immer knapper wird. Flaches Wasser ist 2022 in einem trockengelegten Wasserspeicher in Basel aufgeführt und als Gastspiel zweimal im Dschungel Wien gezeigt worden.
Echter Sand war im Filter4 Basel bei der Uraufführung auf dem Boden, barfuß entwickelten die Tänzer:innen die einzelnen Szenen. Hinten ist der große weiße Wassertank gestanden, noch war genügend Wasser vorhanden. Für die Tourneen musste Zuber mit den Tänzer:innen die Choreografie und den Bühnenaufbau verändern. Der Tank ist leer, der Sand besteht aus kleinen, beim Tanzen weniger schmerzhaften Korkstücken, und in der Badewanne liegt der wie Kleopatra mit Milch balsamierte Tänzer im Trockenen. Die Menschen, die durch die Wüstenei wandern, sind müde, ausgetrocknet und durstig. Doch sie singen und springen, sind anfangs eine Gruppe, doch wenn es um die lebensspendende Ressource geht, werden sie einander zum Wolf, verschwenden das Wasser im Kampf mit ihren Pistolen.
Zuber vermeidet es gekonnt, zu belehren oder dem jugendlichen Publikum ein schlechtes Gewissen zu machen.
Die sechs ausgezeichneten Tänzer:innen lassen Bilder entstehen, über die man noch lange nachdenken kann. Das Protestieren und Diskutieren überlassen sie anderen. Die üblichen Klischees zum Themenkreis von Klimawandel und Ressourcenknappheit werden durchbrochen, und der Mensch wird gezeigt, wie er ist, er scheut nicht davor, andere und auch sich selbst zu zerstören.
In einer Sequenz schleift ein Tänzer eine Frau an den Beinen hinter sich her, sie jammert nicht, sondern beginnt zu singen: „Eyes on me“ von Bo Burnham. Sie ist kein Opfer, hat sich entschlossen, ihre Stimme nicht zum Protestieren, sondern zum Singen einzusetzen. Tröstlich sind die Bilder dennoch nicht, im stetigen Halbdunkel entsteht eine beklemmende Atmosphäre. Ohne Wasser werden wir, wird Fauna und Flora nicht überleben.Das geflügelte Wort homo homini lupus stammt vom römischen Komödiendichter Plautus (254–184 v. Chr.) und hat seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Plautus ließ den Kaufmann in Asinaria / Eseleien „lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit!“ sagen. In der Übersetzung: „Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist.“ Heute aber wird dem Ausspruch eine eher martialische Bedeutung unterlegt: „Krieg aller gegen alle“ „Jede(r) ist der Anderen Feind.“
Auch darüber kann nachgedacht werden. Sebastian Zuber wurde von der norwegischen Autorin Maja Lunde und ihrem Bestseller Die Geschichte des Wassers angeregt und hat die Choreografie für Heranwachsende ab 14 konzipiert. Am ersten Abend des Gastspiels saßen sie 50 Minuten gebannt und stumm in den Reihen. Ein Beweis, wie stark die Bilder sind, die ohne Worte nur durch die Sprache der Tanzkörper wirken. Als Pointe am Ende ertönt noch einmal Gesang. Der Alpenflug, eine Ballade von Mani Matter, kennt in der Schweiz jedes Kind und ist in jedem Liederbuch zu finden. Das Team hat die Verse aus dem Schwyzerdütsch ins Deutsche übersetzt.
Sebastian Zuber: Shallow Waters
Regie: Sebastian Zuber; Regieassistenz: Anna Friedrich;
Kostüm: Noemi Szalay; Musikassistenz: Nicola Misic; Licht: Minna Heikkilä; Foto/Video: Brigitte Fässler
Tanz: Jefta Tanate, Elina Lindfors, Anna Virkkunen, Jordan Gigout, Gotauté Kalmatavičiūté, Victor Rottier
Fotos: © Nora Steffen
Gastspiel im Dschungel Wien, 27., 28. Juni 2023.
Maja Lunde: Die Geschichte des Wasser / Blå, deutsch von Ursel Allenstein. btb 2018.