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Poetisch und prosaisch zwischen Säulen und Boxen

Blackboxed Voices: Mensch, Maschine, Licht, Sound.

Aus 32 Lautsprechern tönt es, laut und ganz leise, grollend und sirrend. Menschliche Stimmen mischen sich darunter, zwei Tänzer und eine Tänzerin bewegen sich zwischen den schwarzen Tonkörpern, ergänzen, live singend, die elektronischen Klänge, die Lichtregie spielt mit und das Publikum bewegt sich mittendrin. „Blackboxed Voices“ nennt die Komponistin Martina Claussen ihre jüngste Komposition, die im Rahmen von Wien Modern in der großen Säulenhalle des Semperdepots (Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste) uraufgeführt worden ist.

Brigitte Wilfing tanzt mit der Maschine. Im Hintergrund besetzt Alex Franz Zehetbauer einen Heizkörper. Auf vier Bildwänden tanzen feinst gestrichelte Zeichnungen, die Tänzer (Patric Redl, Alex Franz Zehetbauer) freunden sich mit den sperrigen Geräten, die Töne und Licht spenden, an, kämpfen auch mit ihnen, wie einen Rollator benützt Zehetbauer die auf Räder montierte schwarze Box, klappert im Vorbeigehen an wohlig warmen Heizungsrohren, Redl übt daran seine Kletterkünste. Die Performerin, Brigitte Wilfing, hängt quer über „ihrer“ Box, liegt auch flach darunter. Wären die drei nicht durch Leuchtfarben gekennzeichnet, Mensch mit 2 Köpfen? Brigitte Wilfing begegnet Alex Franz Zehetbauer. sie wären kaum vom Publikum zu unterscheiden, das die große Säulenhalle im Semperdepot durchwandert wie die Performerin und die Performer.
Licht und Klänge, Grafik und Bewegung, Mensch und Maschine scheinen ineinander verwoben, erfüllen den Raum und scheinen einander zu steuern und zu bedingen. Doch der Schein trügt: Die Klangkomposition (Martina Claussen), die Choreografie und Inszenierung (Brigitte Wilfing) sind vorgefertigt, der Ton in Fix Medien gespeichert. Die Lichtarchitektur und die Videos, die mitunter farblich schimmen, sind eine eigene Komposition, präzise an der Musik orientert. Was das Publikum jeweils zu sehen bekommt, hängt von der Position im Raum und der Perspektive ab. Die Gäste  dieses audio-visuellen Raumkonzertes haben die Freiheit, umherzuwandern, auf den bereitgestellten tragbaren Hockern zu sitzen, zu warten, wer vorbeikommt, was geschieht, oder einem Tänzer, der Tänzerin zu folgen.Das Trio wird zu einem Wesen mitten unter den teilnehmenden Gästen. (Wilfing, Zehetbauer, Redl) Stimmen, Licht, Klänge und Geräusche kommen aus allen Richtungen, Performerin und Performer verschwinden, tauchen vom Licht in die Dunkelheit, sind zugleich mitten in der Zuschauer / -hörer-Menge, verschwinden in dunklen Winkeln, tanzen im flüchtigen Lichtstrom und haben sich die schwarzen Boxen längst zu eigen gemacht. Eingehüllt in Bilder und Klänge, umgeben von bewegten Körpern und den geheimnisvollen Geräten, wird mir diese performative Klanginstallation, die konzertante Performance inmitten der Architektur zu einem romantischen Erlebnis. Die Irritation durch den Auftritt einer schamanische Figur im schwarzen Mantel tut ein Übriges.
Bevor Tobias Leibetseder (nicht nur Performer, auch Komponist, Klang- und Medienkünstler) noch zu sehen ist, Mensch – Maschine – Mensch im Clinch. Patric Redl, Lautsprecher, Alex Franz Zehetbauer. klopfen seine harten Schritte geisterhaft über den Köpfen der Menge. Er trägt eine Gitterwand, die für kurze Zeit das Licht zu filtern scheint. Dann verschwindet er schweigend im Dunklen, dort, wo auch die Bedeutung des Auftritts bleibt. Romantik pur.
Im Finale wird ein Perpetuum mobile gebaut, dessen rotes Auge leuchtet, bis die Musik in silbernem Sirren verklingt. Perfekt. Installation, Komposition (auditiv und visuell), Choreografie, Inszenierung, Dramaturgie und (besonders wichtig:) Timing einen Künstler:innen und Publikum zu einer verzauberten Gemeinschaft. Fixed Media Installation mit menschlicher Figur (Brigitte Wilfing)  im Semperdepot. Ein Bild der Unvollständigkeit, weil der Sound und die Weite des Raumes fehlen.
Am Ende füllt der Applaus die Säulenhalle des Semperdepots, benannt nach dem Architekten Gottfried Semper, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit Carl Freiherr von Hasenauer das k.k. Hoftheater-Kulissendepot / Decorations-Depot erbaut hat. Nun gehört das Historismus-Denkmal in der Wiener Lehargasse der Akademie der Bildenden Künste und trägt nach dem Willen der Herren Professoren und Damen Professorinnen den sperrigen Namen "Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste". Gottfried Semper wurde aus dem Gedächtnis gelöscht.

Wien Modern
Martina Claussen: „Blackboxed Voices – I am Here“, Uraufführung, Semperdepot (Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste), 12. und 13. November 2022, je zwei Vorstellungen.
Eine performative Klanginstallation für vier Performer:innen/Vokalist:innen, Akusmonium, Fixed Media, Live-Elektronik und Lichtarchitektur
 Künstlerische Projektleitung, Spatialisation: Martina Claussen
Choreografie, Inszenierung: Brigitte Wilfing
Performance: Tobias Leibetseder, Patric Redl, Brigitte Wilfing, Alex Franz Zehetbauer
Lichtarchitektur: Conny Zenk; Kostüme, Ausstattung: Patrizia Ruthensteiner; Akusmonium, Produktmanagement The Acousmatic Project: Thomas Gorbach.
Fotos: © Markus Gradwohl