Repertoire: MacMillan | McGregor | Ashton
Drei Ballette von drei britischen Meisterchoreografen werden an dem abwechslungsreichen Abend, der die Namen der Schöpfer als Titel trägt, geboten. Die Premiere dieser Trilogie hat am 31. Oktober 2017 stattgefunden. Jetzt ist der britische Abend nach der Vorstellung am 17.2. noch zweimal zu erleben. Mit tänzerischer Virtuosität erfreuen alle drei Stücke.
„Concerto“ von Kenneth MacMillan, „Eden Eden“ von Wayne McGregor und die Pas de deux-Szenen „Marguerite and Armand“ von Frederic Ashton sind unterschiedlich alt. Ashtons kurzer Blick auf „Marguerite and Armand“, uraufgeführt 1963 mit Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew in den Titelrollen, ist mehr als 50 Jahre alt, dementsprechend ist vor allem das Bühnenbild angestaubt. Nur wenig jünger ist MacMillans „Concerto“, 1966 für das Berliner Ensemble, dessen Direktor er eben geworden war, kreiert. Kurz danach ist Wayne McGregor zur Welt gekommen. 2006, drei Jahre zuvor musste das Klonschaf Dolly aufgrund einer Lungenerkrankung eingeschläfert werden, ha sich McGregor mit dem Thema des Klonens und der Stammzellengewinnung choreografisch auseinandergesetzt. Zur Musik von Steve Reich, dem Akt „Dolly“ aus der Oper „Three Tales“, schuf er das furiose Ballett „Eden | Eden“ für das Stuttgarter Ballett. Taufrisch ist auch dieses nicht mehr, doch immer noch aufregend und als Paradiesvorstellung erschreckend.
Die drei Sätze des technisch schwierigen „Concerto“, am Klavier brillant unterstützt von Igor Zapravdin mit dem 2. Klavierkonzert von Dimitri Schostakowitsch, scheinen mir eine Reise durch das Leben zu sein. Am Anfang ist alles heiter und leicht: Nikisha Fogo und Denys Cherevychko fegen bravourös über die Bühne. Der Chor von sechs Damen und sechs Herren tanzt gelenkig und exaktim Hintergrund und .in der Diagonale. Nach der fröhlichen Jugendzeit gilt es Verantwortung zu übernehmen, Beziehungen zu pflegen und die Gefühle im Zaum zu halten: Niná Polaková und Roman Lazik zeigen getanzte Musik, gefühlvoll und harmonisch wie der Andante-Satz des Klavierkonzerts. Ein sinnlicher Genuss, der das Herz überfließen lässt. Am Ende? Am Ende ist man allein. Ist man jedoch Alice Firenze, dann sind Energie und Virtuosität noch lange nicht verloren. Hinreißend. Auch in diesem letzten Satz sollte ursprünglich ein Paar tanzen, doch ist kurz vor der Premiere der männliche Part ausgefallen, also hat MacMillan Silvia Kesslheim alleine tanzen lassen. Den fehlenden Partner hat er auch später nicht mehr ergänzt. So sucht die Solistin, auch die dynamische Alice Firenze, in jeder Aufführung ihren Partner, den sie in Wahrheit nicht benötigt. Zugegeben, MacMillan hat mit diesem Einstandsgeschenk an sein neues Ensemble keine Geschichte erzählen wollen, obwohl, wie er zeigt, etwa in „Mayerling“ (auch im Repertoire des Wiener Staatsballetts) dass er es großartig kann, dennoch darf man sich eine denken und zu den tänzerischen Glanzpunkten mit herrlicher Musik (übrigens auch ein Geschenk, Schostakowitschs Sohn Maxim erhielt das Klavierkonzert zum 19. Geburtstag 1957) träumen.
Träumen kann man bei „Eden / Eden“ nicht, das Paradies ist düster und hoffnungslos. McGregor animiert die Tänzer*innen, über ihre Möglichkeiten hinauszugehen, Bewegungen zu zeigen, die es gar nicht geben kann. Da tanzen Aliens oder Roboter, die anscheinend weder Muskel noch Sehnen haben, die würden sonst reißen. Erweitert wird dieses futuristische Eden durch die hämmernde minimalistische Musik Reichs und Filmeinspielungen und visuelle Effekte (Ravi Deepres, Luke Unsworth) und ein auffallendes Lichtdesign (Charles Balfour). Aufregend! Doch träumen will ich davon nicht. Die Besitzer*innen der überspannten Körper müssen allerdings genannt werden, alphabetisch, wie sie im Programm angeführt sind: Sveva Gargiulo, Natascha Mair, Ketevan Papava, Madison Young; Adrés Garcia Torres, Eno Peçi, Tristan Ridel, Dumitru Taran, Géraud Wielick. Auch wenn sie nur an manchen Bewegungen erkennbar sind, zeigen alle neun faszinierenden Bewegungsreichtum, extreme artistische Brillanz. Einfach bewundernswert. Und wie sie einhellig kundtun, macht ihnen diese Parforceleistung auch Freude.
Zu Franz Liszts Klaviersonate in h-Moll hat Ashton die vier Szenen vom Lieben und Sterben der „Kameliendame“ (nach dem Roman von Alexandre Dumas d. J.) geschaffen. Liudmila Konovalova und Jakob Feyferlik müssen nicht zu Fonteyn und Nurejew in Konkurrenz treten, selbst wenn noch jemand im Saal ist, die / der die Stars, für die die Pas de deux choreografiert worden sind, gesehen hat, wird die Erinnerung schon verblasst sein. Feyferlik als glücklicher, unglücklicher, wütender und reuiger Geliebter trägt nicht nur die Konovalova auf Händen, sondern auch diesen dritten Teil des Abends. Er ist seit der Premiere gereift, muss sich nicht mehr um die Technik kümmern, bringt die wechselnden Gefühle ergreifend zum Ausdruck und wirkt glaubwürdiger als noch vor zweieinhalb Jahren (für einen Tänzer tatsächlich eine lange Zeitspanne). Konovalova glüht vor Liebe, ist eine elegante, zurückhaltende Kurtisane. Nur mit zwei so großartigen Solisten ist dieses hochgelobte Ballett noch erträglich.
Übrigens, am 22.2. wird Nina Poláková diese edle Marguerite, die auf Befehl von Armands Vater auf die Liebe verzichtet, tanzen. Ihren Part in „Concerto“ übernimmt Olga Esina mit Roman Lazik, der am 22.2. den Vater tanzt. Robert Gabdullin ist dann als Armand Polákovás Partner.
Valery Ovsyanikov, hat bei der Premiere 2017 das Orchester der Wiener Staatsoper dirigiert, was sich bei „Concerto“, in dem drei Künstler russischer Herkunft gemeinsam am Werk waren (Komponist Schostakowitsch, Pianist Zapravdin, Dirigent Ovsyanikov), besonders fein angehört hat. In der Wiederaufnahme steht der Franzose Fayçal Karoui am Pult, der für das Wiener Staatsballett bereits mehrere Ballettabende musikalisch begleitet hat. Von 2006 bis 2012 war er musikalischer Leiter des New York City Ballet, danach hat er zwei Jahre das Orchestre de Lamoureux in Paris geleitet. 2015 Hat Karoui ein Jugendorchester gegründet. Er ist Chevalier des Arts et des Lettres.
MacMillan | McGregor | Ashton: „Concerto“, „Eden | Eden“, „Marguerite and Armand“. 1. Vorstellung am 17. Februar 2020. Folgevorstellungen: 22. 24. Februar 2020. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: Ashley Talor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor