„Onegin“, das letzte Mal in dieser Saison
Jetzt hat er’s und sie hat’s auch! Jakob Feyferlik tanzt in der Vorstellung nach seinem Rollendebüt einen feinen, gefühlvollen Lenski und seine Partnerin, Madison Young, ist eine bezaubernde, vergnügungssüchtige Olga. Schade, dass dieser Abend am 26.1. die letzte Vorstellung in dieser Saison war. Der anhaltende Applaus ist Zeugnis dafür, dass man von John Crankos Choreografie ebenso wie vom Tanz des Wiener Staatsballetts nie zu viel bekommen kann.
Feyferlik also hat jegliche Debüt-Nervosität abgelegt, muss nicht mehr auf seine Bewegungen achten, die der großartige Erste Solist längst in seinem Körper gespeichert hat und kann sich ganz auf Ausdruck und Spiel konzentrieren. Wie sich sein Lenski immer wieder aufrafft und Olga, immerhin seine Braut, aus den Armen des sie provokant herumschleudernden Onegin (ausgelassen und wild Roman Lazik) lösen will, ist ebenso eindrucksvoll wie sein letztes Stündlein im Mondenschein. In diesem 2. Bild des 2. Aktes zeigt Feyferlik, dass er die Wut Lenskis ebenso verstanden hat wie dessen Angst vor dem Tod.
Kurz davor, im 1. Bild des 2. Aktes, ist ein kurzer Moment des Glücks zu erleben: Lenski, Olga und Tatjana, die noch nicht ahnt, dass Onegin sie rüde zurückweisen wird, stehen beisammen und lachen, weil sie die Zukunft golden sehen. Bald danach schlägt Onegin auf den Tisch, als wäre die vor ihm tänzelnd um Aufmerksam bettelnde Tatjana (Ketevan Papava) eine Fliege, die man erschlagen muss, packt Olga, die sich, abenteuerlustig, wie sie ist, nicht wehrt, und tanzt mit ihr, bis Lenski, rot vor Wut, grün vor Eifersucht, seinem Freund die Handschuhe um die Ohren knallt und Satisfaktion fordert. Damit hat der Tod in die fröhliche Gesellschaft auf dem Land Eingang gefunden.
Konnten Feyferlik und Madison Young bei ihrem Rollendebüt noch nicht klar machen, dass sie ein verliebtes Paar sind, so besteht in der Folgevorstellung kein Zweifel mehr daran. Sie sind ein schönes, harmonisches Paar, heiter und entspannt, bis sich Onegin einmischt, Lenski sich einkrampft und Olga vor Angst um ihr Glück und sein Leben alle Lieblichkeit verliert. Perfekt gelingen die Pas de deux und auch die Blicke und Gesten, die Choreograf Cranko für das Paar erdacht hat, sprechen Bände.
Genau besehen war die Vorstellung am 23. Jänner auch für Lazik und Papava ein Debüt, nämlich als Paar. Beide haben ihre Rollen schon sehr oft getanzt, doch war in vergangenen Jahren Laziks Partnerin meistens Nina Poláková und Ketevan Papava hat mit Vladimir Shishov als Onegin getanzt. Mit dem hat sie auch die beiden letzten Vorstellungen getanzt, doch war er diesmal nicht angebeteter Feschak aus der Stadt, sondern der innig geliebte und noch inniger wiederliebende Ehemann, Fürst Gremin.
Shishov war als Gast auf der Bühne, er hat das Ensemble verlassen, um sich nur noch dem Unterricht werdender Tänzer zu widmen. Als Gremin zeigt er deutlich seine Gefühle, sodass der Pas de deux mit Tatjana nahezu glüht und auch dem Publikum die Herzen erwärmt. Ebenso herzerwärmend ist der letzte Pas de deux zwischen Onegin und Tatjana gelungen. Halb zieht er sie hin, halb sinkt sie hin, und rappelt sich dann doch wieder auf. Er hat keine Chance, sie hat sich längst entschieden. Noch weint sie, trunken vor dem kurz wieder aufgeflammten Liebesglück, doch bald werden die Tränen versiegen, der aufgeblasene Bonvivant wird sich trösten und Tatjana sich an ihren Gremin schmiegen.
Dirigent Ermanno Florio hat nicht nur den Solist*innen und dem in allen drei Akten eifrig Mazurka und Walzer, Polonaise und Polka tanzenden Corps de ballet umsichtig den Takt angegeben, sondern auch das applausfreudige Publikum einbezogen. Er lässt es in einer kurzen Pause seine Freude ausdrücken, doch nicht zu lange. Die Gefühle dürfen nicht erkalten, das Drama muss sein Ende erreichen, auch wenn den Tänzer*innen jedes Lob gebührt. Sechsmal hat Florio mit dem Staatsopernorchester mitbestimmt, dass Crankos „Onegin“ ein Erlebnis wird.
„Onegin“, Ballett in drei Akten (sechs Bildern) von John Cranko nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin. Musik: Peter I. Tschaikowski.
Mit Roman Lazik, Jakob Feyferlik, Ketevan Papava, Madison Young, Vladimir Shishov und dem Ensemble als Landvolk, Verwandte, St. Petersburger Gesellschaft. Dirigent: Ermanno Florio. Orchester der Wiener Staatsoper. 52. Vorstellung am 26. Jänner 2020, die letzte in dieser Saison. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor