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John Cranko „Onegin“ mit zwei Debüts

Auch im Palais des Ehepaars Gremin wird getanzt.

In der 51. Vorstellung des bereits als unnachahmlichen Klassiker einzustufenden Balletts „Onegin“ von John Cranko durften zwei Rollendebüts bejubelt werden. Jakob Feyferlik, seit dem Vorjahr erster Solotänzer, und Madison Young, Solotänzerin seit 2019, ernteten Applaus als Lenski und Olga. Mit ihren Rollen bestens vertraut: Ketevan Papava als Tatjana und Roman Lazik als Onegin, Erste Solisten mit Charisma und Eleganz.

Roman Lazik: Onegin, der gelangweilte Snob aus der Großstadt.Wenn Onegin von Roman Lazik versnobt und gelangweilt verkörpert wird, bekomme ich immer Mitleid mit dem jungen Kerl aus der Stadt, der sich für etwas Besseres hält. Auch Onegin ist ja noch jung und hat sich halt für seinen von Lenski eingefädelten Besuch auf dem Land eine Rolle zugelegt. Aus lauter Verlegenheit springt er von einem Fettnäpfchen ins andere und bezahlt sein unpassendes Gehabe mit dem Tod des Freundes. Lazik zeigt eindrucksvoll, dass dieser Onegin sich gar nicht wirklich wohl fühlt in der Mitte so vieler fröhlicher junger Leute, dass er sehr wohl weiß, wie patzig und ungehobelt er sich benimmt. Seine Reaktionen im ersten Bild des zweiten Aktes sind reine Übersprungshandlungen, wie das Getänzel von Tatjana, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Papava zeigt das in all seiner Peinlichkeit und ist damit gar kein Backfisch aus einem anderen Jahrhundert, sondern ein Teenie von heute, die den Mann seiner Träume haben will. Unbedingt. Der verachtungsvolle Blick am Ende der Duellszene (2.Akt, 2. Bild) sagt aber schon, dass sie ihn durchschaut hat. Sehr schön auch die Entwicklung zur reifen Frau im 3. Akt: Schon bei Tatjanas erstem Erscheinen am Arm ihres Gatten General Gremin, weiß man bei Papava, sie wird den jetzt winselnden Kerl nicht erhöre. Welche Erlösung, wenn sie nun seinen Brief mit dem Liebesgestammel zerreißt und ihm die Türe weist.
Das Paar Young / Feyferlik tanzt am 26. 1. die neue Rolle noch ein zweites Mal, dann ohne Lampenfieber, der Rollendarstellung ebenso viel Aufmerksamkeit schenkend wie der Präzision der Bewegungen. Erst dann ist eigentlich ein sinnvolles Urteil möglich.Jakob Feyferlik, Madison Young: Debüt als Lenski und Olga.

Was Crankos Ballett so unvergleichlich macht und Jahrzehnte unbeschadet überdauern lässt, ist nicht nur die Gestaltung der Charaktere und ihrer Gefühle, sondern auch die vom Komponisten und Dirigenten Kurt-Heinz Stolze (1926–1970) instrumentierte Musik Peter I. Tschaikowskis. Schon George Balanchine hat erkannt, dass Tschaikowski Tanzmusik geschaffen hat, auch wenn er wenn er nicht direkt für das Ballett komponiert hat. Der Teil „Diamonds“ im dreiteiligen Ballett „Jewels“ (letzte Vorstellungen in dieser Saison: 27., 29. Jänner) lässt Balanchine zur 3. Symphonie (Sätze 2,3,4) tanzen. Jakob Feyferlik: Rollendebüt als Lenski.Stolze hat gemeinsam mit Cranko, der keine Melodien aus Tschaikowskis bekannter Oper „Eugen Onegin“ hören wollte, vor allem in den eher unbekannten Klavierwerken des Komponisten gewildert und diese (vor allem das Opus 37a „Die Jahreszeiten“) wunderbar in Szene gesetzt. Sehr eingängig ordnet Stolze die Themen den beiden Paaren zu, als würden sie von Leitmotiven begleitet. Lenski und Olga bekommen die heiteren und auch dramatischen Sätze zugeordnet: „Karneval“, „Barcerole“, „Am Herdfeuer“ im 1. Akt; „Herbstlied“, „Erntelied“ im 2. Bild des 2. Aktes, der mit dem Tod Lenskis, der Klage der Schwestern und der Reue Onegins endet.

Onegin und Tatjana tanzen zur Musik einer kaum aufgeführten Märchenoper Tschaikowskis, deren Libretto nach einer Weihnachtsgeschichte von Nikolai Gogol geschrieben worden ist. Merhmals umgearbeitet, hat dieses Werk auch verschiedene Titel erhalten. Ursprünglich „Wakula der Schmied“ genannt, später auch „Die Pantöffelchen“, unter dem es ebenso an deutschen Stadttheatern aufgeführt worden ist wie in der von Stolze bevorzugten Fassung: „Oxanas Launen“. Tatjana zaubert sich einen liebenden Onegin ins Schlafzimmer. (Ketevan Papava, Roman Lazik). Mit dem keineswegs launenhaften Verhalten hat der Operntitel natürlich nichts zu tun, im Gegenteil, diese genannte Oksana / Oxana ist es, die die Zudringlichkeit des Schmieds, der der Sohn der Hexe Solocha ist, abzuwehren. Traurig und zu Herzen gehend ist diese Oper auch nicht, mehr märchenhaft und komisch, dementsprechend endet sie auch mit einer Hochzeit. Im anglo-amerikanischen Raum heißt das Werk „The Golden Slippers“ und wurde 2009 zum letzten Mal im Royal Opera House aufgeführt. Schon beim ersten Zusammentreffen von Tatjana und Onegin erklingt die von Stolze einfühlsam arrangierte Arie der Oxana, auch der „russische Tanz“ der Dorfjungen, der in jeder Vorstellung mit Sonderapplaus belohnt wird, stammt aus Tschaikowskis Oper.

Die Spiegelszene (Puschkin erzählt nicht, dass Tatjana von Onegin träumt, sondern dass sie ihn herbeizaubert, sodass ihn auch Cranko zur Verwunderung des Publikums aus dem Spiegel hüpfen lässt) basiert auf der Ouvertüre, das Pendant dazu, wenn im letzten Bild Tatjana und Onegin in ihrem Boudoir tanzen (während Ehemann Gremin im Feld ist) und Tatjana die Vernunft über den allerletzten Affektsturm siegen lässt, Tatjana (Papava) ist verstört und weint bitterlich: Onegin hat ihren Liebesbrief zerrissen.stammt aus der Sinfonischen Dichtung „Francesca da Rimini“ (auch eine unglücklich Liebende), in die Stolze die Musik eines Duetts, das der Komponist „Romeo und Julia“ nennt, einflicht. Da herrschen Molltöne vor, und während ich für das Unglück Onegins nur Schadenfreude empfinde, wenn andere ihn tanzen, würde ich Laziks Onegin gönnen, dass sein Liebestraum erfüllt wird.

Allerdings, nicht nur für Onegin und Tatjana, ist die Liebe nichts als ein Traum, der platzt, wenn die Hormone verpufft sind. Was aber dem Ballettpublikum bleibt, ist die Musik Tschaikowskis, eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze und eine Choreografie, die bereits zum Mythos geworden ist, von Gefühlen erzählt und Gefühle im Publikum weckt, weil die Figuren und ihre Emotionen nachvollziehbar sind. Crankos „Onegin“ muss auch im Repertoire des Wiener Staatsballetts weiterleben.

John Cranko: „Onegin“, Ballett in drei Akten nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin. Musik: Peter Illjitsch Tschaikowski, eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze. 51. Vorstellung am 23. Jänner 2020. Mitwirkende: Roman Lazik, Jakob Feyferlik (Rollendebüt), Ketevan Papava, Madison Young (Rollendebüt), Vladimir Shishow. Dirigent Ermanno Florio. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison am 26. Jänner 2020 in der selben Besetung.
Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor