Navaridas / Deutinger / Szalay: „Octopus“, brut
Kopffüßler – Octopoden, Kraken, Kalamare – sind bizarre Meeresbewohner, rätselhaft und elegant, um die sich mancherlei Legenden ranken. Marta Navaridas, Alex Deutinger und Christoph Szalay haben sich vom Octopus, dem Tintenfisch mit acht Armen, inspirieren lassen, um über das Gemeinsame und das Andere nachzudenken und mit Video, Gesang und Tanz eine verspielte und erotische Stunde zu gestalten. Nach der Uraufführung 2018 in der Steiermark zeigt auch das brut im Studio brut die verspielte und „tentakuläre“ Performance mit Musik, Video, Gesang und inniger Vertrautheit.
Ein anderes Element, eine andere Dimension, im Wasser bewegt man sich waagrecht, eher liegend als aufrecht stehend, die Schwerkraft ist aufgehoben, die Wellen tragen die Körper, alles wird leichter, entspannter, sanfter. Die Musik (Stephan Sperlich am Live Trak) dröhnt und rauscht, die Wellen auf dem Video branden dem Publikum entgegen, bunte Tücher, die auf den Wellen tanzen, ersetzen die Fische und bald schwimmen auch Navaridas, Deutinger und Szalay als geschmeidige Nixen vorüber. Auf dem kleinen Podest auf der Bühne agieren sie live, als wären sie noch im Meer. Sie werden zu einem einzigen Wesen, das sich gemessen und elegant im fremden Element bewegt. Die Körper eng aneinandergeschmiegt, die Gliedmaßen verschlungen, gleitet und fließt das Trio mit zärtlichen, auch groben Berührungen einträchtig und vertraut. Der fremde Körper, der nicht erkennen lässt, wessen Arm jetzt nach wessen Bein greift, welcher Schenkel über welchem Bauch liegt, lässt mich nachdenken, wie es wäre, würden wir selbst andere sein, vielleicht im Wasser leben, und uns und einander mit acht Armen liebkosen können.
Ein wunderbarer Tanz der scheinbar schwimmenden Körper, eine Geschichte von Liebe und Sehnsucht auf dem Meeresgrund.
Mitunter lösen sich die Körper aus der Umschlingung, verlassen die imaginäre Wellenschaukel, um sich als Solist / Solistin dem Gesang zu widmen. Als lockiger Jüngling aus der Romantik sitzt Christoph Szalay am Bühnenrand, singt von Liebe und Meer, Himmel und Sehnsucht. Dann hört man scharfe Klatschen, wenn die Nixe den Wassermann schlägt. Ach ja, wir verzehren ja im Urlaub auch den Octopus, doch bevor er gekocht, gebraten oder gegrillt wird, muss er weich geschlagen werden, die Fischer machen das entweder mit einem Holzprügel oder klatschen das Tier mehrmals kräftig gegen die Kaimauer. Dadurch werden die Eiweißfasern zertrennt, die die Krake im Kochtopf / auf dem Grill so gummiartig und zäh machen.
Vielleicht ist auch Szalay durch die klatschenden Schläge zarter geworden.
Wer die Methode Navaridas / Deutinger kennt, weiß, dass bei aller Gedankenfülle die Ernsthaftigkeit immer Flügel bekommt und auch der Humor niemals fehlt. Übereinanderliegend werden die drei Wasserwesen zu einer einzigen Lachwurzen. Alex Deutinger lässt mich sowieso immer schmunzeln, wenn er seinen Blick wissend und verloren zugleich in die Ferne richtet. Gespickt mit Kluppen singt er vom Mysterium der großen Fragen, auf die er keine Antwort weiß. Ein weiser Clown, ein komischer Philosoph. Der letzte Song gehört Marta Navaridas, die ihn mit glitschig-nassem Körper vorträgt. Am Ende sehen wir sie in einem Schwimmbecken als großmäuligen Fisch.
Der Vorhang fällt, die Musik ist beendet, doch das Publikum träumt weiter, es dauert eine angenehme Weile, bis die Träumenden erwachen, sich entschließen, den verdienten Applaus zu geben.
Navaridas / Deutinger / Szalay: „Octopus“, Konzept und Performance; Alex Deutinger, Marta Navaridas, Christoph Szalay
Unterwasserkamera: Txema Vega Villate; Videoregie und Editing: Mikel Yarza; Livemusik: Stephan Sperlich; Kostüm und Bühne: Sarah Sternat; Lichtdesign: Svetlana Schwin; Klangregie: Stefan Ehgartner. Wien-Premiere 30. Jänner 2020, Studio brut.
Folgevorstellungen. 31. Jänner, 1. Februar 2020.