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Alessandro Sciarroni: „Augusto“, Tanzquartier

Sciarroni: "Augusto", Tanzen und Lachen.© Roberta Segata

Lachen ist vielfältig. Das hat der preisgekrönte Choreograf Alessandro Sciarroni mit seinem Stück „Augusto“ an zwei Abenden im Tanzquartier gezeigt. Für sein Lebenswerk hat der italienische Künstler im Rahmen der Tanzbiennale 2019 in Venedig den Goldenen Löwen erhalten. Sein Tätigkeitsfeld erstreckt sich von Choreografie über bildende Kunst bis hin zur Erforschung des Theaters selbst. Zum dritten Mal war er in Wien zu Gast, diesmal mit einer herausfordernden Idee: Das Lachen zu inszenieren.

11 augusto alice brazzitDas Lachen bezeichnet Sciarroni als eigentlich zu fragil, um es konzeptuell zu bearbeiten. Denn es sei schwierig, die Balance zwischen richtigem und falschem Lachen zu finden. Und wenn dieser Balanceakt als Performancegruppe nicht gelinge, dann seien die sich daraus ergebenden Folgen unvorhersehbar. Die neun auftretenden KünstlerInnen nannten das Stück einen „Ego-Cleaner“, da es stark auf die Verbindung innerhalb der Gruppe sowie dem Zusammenspiel zwischen der Gruppe und dem Publikum baue. Diese Innigkeit durchzog das gesamte Stück: Die PerformerInnen lassen einander anfänglich nicht aus den Augen, während sie lachend ihre Runden drehen und die ZuschauerInnen mit zögerndem Gelächter reagieren. Nach und nach gruppieren sich die lachenden PerformerInnen in unterschiedlichen Konstellationen und in Einklang mit der aufkommenden Musik. Dabei kreieren sie höchst unterschiedliche Bilder: Angefangen bei der fröhlichen Kindheit, über Andersartigkeit, bis hin zur physischen Gewalt.Lachaen ist nicht immer ein Ausbruchvon Frählichkeit. © alice Brazzit

Die Grundlagen des Stückes bilden zwei Ansätze: Erstens die Idee von Monstern, basierend auf dem Roman „Frankenstein“ von Mary Shelley und Überlegungen zu Performing Gender: Sciarroni fragte sich, wie sich Menschen fühlen oder betrachtet werden, die nach einer für sie stimmigen Geschlechtsidentität suchen. Zweitens ließ sich Sciarroni von Filmen über Clowns inspirieren. Für die Umsetzung dieser Ideen mussten die PerformerInnen lernen, das Lachen in ihren Körpern zu organisieren. Um das eigene Lachen zu erlernen, beziehungsweise das eigene Lachen zu verstehen, haben die PerformerInnen in der Vorbereitungszeit intensive Trainingseinheiten im Lach-Yoga absolviert. Das ermöglicht ihnen das Lachen in seinen unterschiedlichen Facetten auf der Bühne hervorzubringen und auch wiedereinzustellen.

Im ersten Teil  laufen sich die TänzerInnen warm. © Roberta SegataDass die Beherrschung des Lachens trotz gezielten Trainings schwierig ist, widerspiegelt sich im Stück. Zwar kreierten die PerformerInnen eindrücklich durch und entlang des Lachens verschiedene Stimmungs- und zu hinterfragende Gesellschaftsbilder – Warum lachen wir, wenn jemanden etwas nicht gelingt? – jedoch hat im Tanzquartier das Publikum auf die Bühnengeschehnisse oft unsicher reagiert. Vor allem in der ersten Hälfte schien nicht klar zu sein, was hier dargestellt werden soll, wofür das Lachen symbolisch stehe. In der zweiten Hälfte nehmen die Darbietungen jedoch an Fahrt auf: Die Stimmung wird zunehmend dramatischer, die PerformerInnen beginnen das Lachen zu nutzen, um ihre Körper nicht mehr nur laufend, sondern auch tänzerisch in Bewegung zu setzen. Freude, Schadenfreude, Betroffenheit, Verlegenheit…: Das Lachen hat viele Facetten. © Alice BrazzitZudem ändern sich die Rollen der Lachenden: In den sich wiederholenden Gruppenabläufen stechen immer wieder Einzelne hervor, die sich dem Lachen durch Singen, Schreien oder Weinen widersetzen. Interessante Gruppendynamiken entwickeln sich, das Lachen der Gruppe als auch der Einzelnen wird facettenreicher. Die Brüche der Rhythmen verleihen dem Stück die nötige Würze und führen zur Schlussfolgerung, dass nicht alles zum (Weg-)Lachen ist, so als ob es keine anderen Reaktionsmöglichkeiten gäbe. Ein weiterer Verweis auf die Vielschichtigkeit und Dialektik des Lachens sowie den sensiblen Blick des Choreografen auf die sozialen Reglementierungen des Alltags durch Lachen.

Alessandro Sciarroni: „Augusto“, Mit Massimiliano Balduzzi, Marta Ciappina, Jordan Deschamps, Pere Jou, Benjamin Kahn, Leon Maric, Francesco Marilungo, Cian McConn, Roberta Racis. Musik: Yes Soeurl; Lichtdesign: Sébastien Lefèvre. 17., 18. Jänner 2020. Tanzquartier.