Zum Hauptinhalt springen

„Wenn ich groß bin, will ich frau*lenzen“, Dschungel Wien

Ida Golda, Jeanne-Marie Bertram.

Frau*lenzen“, die Wortschöpfung der feministischen Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch, hat die Autorin Lilly Axster übernommen, um sie im Titel ihres Kinderbuches und des Bühnenstücks unterzubringen. „Wenn ich groß bin, will ich frau*lenzen“ ist allerdings bereits Mitte der 1990er Jahre entstanden und vom TheaterFOXFIRE (Leitung damals: Lilly Axster und Corinne Eckenstein) uraufgeführt worden. Jetzt erlebt das Stück mit Jeanne-Marie Bertram und Ida Golda als Darstellerinnen seine Auferstehung im Dschungel Wien. Die Kinder, für die der witzige Text damals erdacht worden ist, sind heute selbst Mütter (oder Väter).

Buchillustration von Christine Aebi. ©  Empirie Verlag 2003Im Mittelpunkt steht die achtjährige Johanna (Ida Golda), ein Schlüsselkind, wie man vor 30 Jahren Kinder nannte, die nach der Schule allein zu Hause waren, weil die Mutter arbeiten musste. Der Vater war abwesend oder eben auch bei der Arbeit. Die Welt aber hat sich gewandelt, Schlüsselkinder gibt es kaum noch, auch reine Mädchenklassen sind abgeschafft worden und viele Kinder wissen auch nur noch wenig von Froschkönig und Dornröschen, Mädchen wollen nicht mehr Prinzessinnen werden oder Königinnen sein (sogar die echten drücken sich immer häufiger von diesem schwierigen Amt) und fürchten sich nicht mehr, wenn das Telefon klingelt, weil sie in der whatsapp-Gruppe chatten.

Johanna aber ist allein zuhause, langweilt sich und schreckt bei jedem Klingeln an der Tür zusammen. Sie schafft sich mit viel Fantasie nicht nur eine eigene Sprache („Wir haben die Konterrolle und können beschießen, was wie gehört und wie fein soll“), sondern auch eine eigene (Märchen-)Welt. Johanna (Ida Golda) ist noch lange nicht erwachsen, sie spielt noch mit der Puppe. Zwei Königinnen werden versteinert und wieder zum Leben erweckt, Frösche quaken und rollen statt einer eine ganze Menge goldener Kugeln aus dem Brunnen, der Spiegel spricht und lehrt Johanna, dass sie die Königin der Macht ist. Als Gegenüber, Konterollorin und Ratgeberin schafft sie sich eine Holländerin in Holzpantinen (Jeanne-Marie Bertram), die mit Steppdecken und Teehaube als Krone zu den zwei Königinnen wird und „Busen an Busen“ mit Johanna eine Strategie fürs Frau*lenzen entwickelt. Es blitzt und kracht, die Kastentüren rollen die Augen, klappen auf und zu, an allen Ecken leuchtet es grün und orange. Der Märchenzauber funktioniert noch immer, und manche der jungen Zuschauer*innen sind gebannt vom Spiel im Spiel und der Retro-Ästhetik, in der die Bühne, um es knapp auszudrücken, angeramscht ist. Das Alter dieses Stückes lässt sich nicht leugnen.

Die Königinnen begrüßen das Volk (Golda, Bertram)Damals ist Axsters von Christine Aebi mit Pastellkreiden in kindlicher Manier entzückend illustrierten Buch zum Vorlesen empfohlen worden. Mit gutem Grund wohl ist es vergriffen und wird nicht mehr aufgelegt. Da konnten Eltern die Sprachspiele so richtig rollen und purzeln lassen: „Wir zündeln die rastkete und schaufeln ins fall…“ Die beiden Darstellerinnen können das auch, doch ob Volkschüler*innen daran ihre Freude haben, wage ich zu bezweifeln, Wiederholungen der frau*lenzierenden Verballhornungen sind nicht vorgesehen. Möglich aber, dass Kinder ab 6 (Empfehlung des Dschungel-Teams) ihre Freude an einer Aufführung ohne Handymitwirkung, Retrocharme im Kinderzimmer.Videowand und Internetkritik haben. Der Retrocharme der Bühne und der Kostüme (aufgespannte schwarze Schirme als Schleppe, Steppdecke als Königinnen-Mantel) wirkt jedoch ziemlich angestaubt, und obwohl es eine Choreografie (Corinne Eckenstein) gibt, wird halt hin und her und herum gegangen. Schade, gerade diese Doppelwelt von Realität (Johanna allein zuhause) und Märchenwelt („Spiegel, Spiegel bin ich die Schönste?“) würde sich bestens für eine Tanzperformance eignen.

„Wenn ich groß bin, will ich frau*lenzen“, Autorin: Lilly Axster. Regie: Verena Koch. Bühne: Kostüm: Bianca Fladerer. Bühnenbau: Vincent Hendus. Sounddesign: Björn Büchner. Choreografie: Corinne Eckenstein. Licht: Christo Novak. Darstellerinnen: Jeanne-Marie Bertram, Ida Golda. Premiere: 8. Jänner 2020, Dschungel Wien.
Weiter Aufführungen, vor allem vormittags: 9. bis 15. Jänner 2020 und 5. bis 8. März 2020.
Fotos: © Rainer Berson