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Wien Modern / Liquid Penguin: Gras wachsen hören

Marius, Stefan, Elisabeth an der Arbeit.

Mit der geistreichen musikalischen Performance des Saarbrückener Liquid Penguin Ensembles ist dem Dschungel in Zusammenarbeit mit Wien Modern ein echter Coup gelungen. „Gras wachsen hören“ ist aus einem Hörspiel entstanden und bringt die Pflanzenwelt zum Singen und Klingen. Die Uraufführung, eine Auftragsarbeit von Wien Modern, hat am 15. November im Dschungel Theaterhaus freudigen Anklang gefunden und auch das rege Interesse des Publikums in allen Altersstufen geweckt.

WKatharina  unter dem Hut der Dame von Asch.as soll erzählt werden über diese einmalige Mischung aus Fiction und Facts, aus Witz und Ernsthaftigkeit, aus Text, Klang und Musik? Die Antwort ist schwierig, handelt es sich doch um ein Unikat, in dem ernsthafte Kompositionsarbeit und wundersame Klangbilder mit erdachten Geschichten und erfahrenen Tatsachen präsentiert werden, um die Erforschung des Lebens und der Bewegungen von Pflanzen hörbar und sichtbar zu machen. Das passt genau in das Programm von Wien Modern, lautet doch das heurige Motto „Wachstum“ (abseits von Kapital und Gier interpretiert).
Wenn Pflanzen wachsen – im Gegensatz zu den Menschenkindern sehr, sehr langsam –, dann entsteht Bewegung, und wenn sie gegossen werden, gurgeln die Moleküle und chemischen Verbindungen in ihrem Innern. Das biolingua Institut, von Liquid Penguin in den Dschungel Theatersaal eingebaut, bietet eine Überraschung für Stammgäste: Der Raum hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das Archiv des Instituts ist eine dunkle Höhle, betritt man das Labor, ist es hell, es grünt nicht nur in allen Ecken, sondern auch in der Mitte. Marius und Elisabeth beim Vermessen des Wachstums der Aloe-Blätter.

Einer gut gewachsenen Aloe Vera werden Elektroden angelegt, die ihr Innenleben registrieren, aufzeichnen und sichtbar machen; die Musiker*innen setzen die als sich ständig veränderte Graphik sichtbaren Schallwellen, auf selbst gebauten Instrumenten für menschliche Ohren um. Aus dem Archiv werden Anekdoten und Forschungsergebnisse geholt, immerhin ist dieses biolinguale Forschungsinstitut schon mehr als 100 Jahre alt und kann beachtliche Erfahrungen aufweisen.

Stefan hört bereits das Gras wachsen. Doch trocken sind diese Berichte keineswegs, dafür hat schon die Gründerin des Instituts, Dorothea von Asch, gesorgt. Sie hat nicht nur eine Vorliebe für große mit Blumen und Gemüse geschmückte Hüte gepflegt, sondern sich in einer nächtlichen Vision auch in eine Bohnenranke verliebt. Ob diese die Dame auch umrankt hat, ist nicht überliefert, das geneigte Publikum im Dschungel kann jedenfalls im Finale der musikalisch-(pseudo)wissenschaftlichen Reise in die gar nicht stumme Welt der Blumen, Bäume und Ranken, die besagte Bohnenranke ungewöhnlich schnell, sozusagen im Zeitraffer, wachsen sehen und natürlich die dazu passende Musik hören. Elisabeth an ihren außergewöhnlichen Percussion-Instrumenten. Das Gebot der Stunde ist Ohren aufsperren, schließlich sind wir in einem (kleinen) Konzertsaal. Zu hören ist nicht nur, wie das Gras wächst. Was die Pflanzen normalerweise dem menschlichen Ohr nicht wahrnehmbar so von sich geben, ist ein Klingeln, Klopfen, Klappern und silbernes Zirpen des von Elisabeth bedienten Elektroschrotts oder den geschüttelten Schoten und Kapseln. Marius erzeugt Pflanzenmusik mit dem Ballaphon. Auch Marius, der Gärtner, bedient allerlei Schlaginstrumente und bringt mit der Gießkanne die Pflanenfreundinnen zum Grün zum Sprießen. In seiner Kontrabassruine hat er einen Grasgarten versteckt, die einzig verbliebene Saite lässt das Wachstum hören. Komponist Stefan spielt mit dem Kontrabass, was die Bäume sagen, seufzen und stöhnen, knarzen und knarren, rumpeln und pumpeln und auch quietschen. Und Katharina, gemeinsam mit Stefan Gründerin des Liquid Penguin Ensembles, erzählt, deklamiert, rezitiert und singt. Das vielstimmige Konzert ist nicht nur überraschend und angenehm für die Ohren, sondern ermuntert auch, beim nächsten Wald- und Wiesenspaziergang die eigenen Lauscher zu spitzen, um zu erfahren, was die Bäume und Büsche so flüstern.In der alten Bassgeige wächst das Gras. Deckel zu, und man hört es.

Ohne allzu viel vom aufregend sinnlichen Bild- und Klangerlebnis in dürre Wörter umsetzen zu müssen, krame ich lieber in der Liste lobender Attribute, um diese erstaunliche Vorstellung anzupreisen: witzig, intelligent, geistreich, abwechslungsreich, vergnüglich und auch lehrreich, kurz: hörens- und sehenswert. Für Erwachsene und Jugend ab 13 wird eine etwas andere Fassung gespielt als für Kinder ab 8.

Zwei Anmerkungen noch: das Liquid Penguin Ensemble ist 1997 gegründet worden, ein Jahr später hat sich in Österreich das Gemüseorchester formiert, das mit Karotten und Kohlstrünken Musik macht.
Und außerdem: Die Pinguine erinnern mich auf allen Ebenen ihrer Vorstellung an das an das ebenso präzise wie einfallsreich arbeitende Kollektiv makemake, meine besonderen Lieblinge.

Liquid Penguin Ensemble, Wien Modern & Dschungel Wien. „Gras wachsen hören“, ein botanisches Konzert. Text, Stimme: Katharina Bihler; Installationen, Perkussion: Marius Buck; Perkussion: Elisabeth Flunger; Komposition, Kontrabass, Elektronik: Stefan Scheib. Technische Entwicklung der pflanzengesteuerten Klanginstallation: Klaus Pahlke; Raum: Hannes Röbisch, Liquid Penguin Ensemble. Auftrag: Wien Modern. Produktion: Wien Modern, Dschungel Wien und Liquid Penguin Ensemble. Uraufführung 15.11.2019, Dschungel Wien.
Weitere Vorstellungen: 16.–19.11.2019.
Fotos: © Wien Modern / Markus Sepperer