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DD Dorvillier, Zena Parkins: Doppelabend

Danza permanente, Tanz in der Stille. © Thomas Dunn

Für eine Tournee hat DD Dorvillier ihre 2012 uraufgeführte Choreografie „Danza permanente“ nach Ludwig van Beethovens Partitur für sein Streichquartett Nr.15 in a-Moll op.132 neu einstudiert und auch im Tanzquartier, in Kooperation mit Wien Modern, gezeigt. Ein Stück über Musik (fast) ohne Musik, jedenfalls nicht der von Beethoven. Faszinierend und ein Genuss für alle Sinne. Der Genuss für Ohren liegt in der Stille.

Choreografin DD Dorvillier, fotografiert von Carolina Miernik / ImpulstanzChoreografin DD Dorvillier, fotografiert von Carolina Miernik / ImPulsTanzWie kann die emotionale Wirkung der Musik mit dem tanzenden Körper ausgedrückt werden? Das wollte die in Frankreich lebende amerikanische Choreografin DD Dorvillier wissen und studierte mit den Tänzer*innen ihrer Formation, human future dance corps, Beethovens spätes Streichquartett Nr 15 in a-Moll op. 132. Die Partitur wird zur Choreografie, die vier Tänzer*innen übernehmen den Part der vier Instrumente. Entsprach die erste, 2012 entstandene, Aufführungsserie der üblichen Besetzung eines Streichquartetts und wurde von vier Männern getanzt, so tanzen in der Wiederaufnahme im Tanzquartier zwei Frauen (Liza Baliasnaja und Katerina Andreou, die in Wien bereits mehrere solistische Arbeiten gezeigt und 2016 beim ImPulsTanz Festival den Prix Jardin d’Europe erhalten hat) die beiden Geigen; zwei Männer (Sébastien Chatellier und Walter Dundervill, der schon in der Uraufführung getanzt hat) Bratsche und Cello. Sehr schnell sind die Instrumente identifizierbar. Die 1. Geige gibt den Ton an, die Tänzerin zählt hie und da laut vor. Manchmal prescht das Cello vor, dann sind die vier Instrumente wieder vereint, tanzen unisono. Die Verzierungen werden mit erhobenen Armen und spielenden Fingern getanzt. Die Violine tanzt ihre eigene Melodie. © thomas dunn

Das wechselnde Licht unterstreicht die wechselnden Tonarten und fördert das emotionale Erlebnis dieser getanzten Partitur. Gedämpft mit auf dem Hintergrund erzeugten Kirchenfenstern im dritten Satz, dann wieder strahlend hell, wenn kurz heitere Stimmung herrscht.
Das Quartett tanzt Musik ohne Musik, und dass das so spannend und auch entspannend, so anregend und auch aufregend sein kann, hätte ich nie gedacht.
Auch wenn ich Beethovens Streichquartett, komponiert als bereits Gehörloser, nicht bewusst kenne, meine ich die Musik zu hören, sehe die Struktur und die Rolle der einzelnen Instrumente. Dass Tanz in völliger Stille funktioniert, Gedanken und Gefühle erzeugt, ist eine neue Erfahrung. Ganz still ist es doch nicht, die Harfenistin Zeena Parkins hat für die Pausen zwischen den Sätzen Interludien aus Alltagsgeräuschen komponiert; Straßenlärm, Donnergrollen und geheimnisvoll flüsternde Stimmen sind auch, sehr dezent, während der getanzten Quartettsätze zu hören. Zeena Parkins hat die dezente Musikkulisse für den ununterbrochenen Tanz komponiert. © Z. ParkingsSie stören nicht, hindern vermutlich so manchen Zuschauer am sanften Hinwegdämmern, denn dieser Tanz der Vier in ihren farbigen Kostümen (kurze Hosen und kurzärmelige Shirts in orange, rot, gelb und blau) versetzt in Trance, wie sie auch im Konzert mitunter eintritt.

Mit ihrem Ensemble hat Dirigentin DD Dorvillier ein einmaliges überaus präzise und virtuos einstudiertes Werk geschaffen, das, subtil und perfekt umgesetzt, begeistert.

Meine Begeisterung hat die Pause überdauert und ich habe mir auch den Soloauftritt der amerikanischen Komponistin Zeena Parks und ihrer elektronischen Harfe gegönnt. Das selbst gebaute Instrument fasziniert mich. Zeena Parkins mit  selbstgebauter Harfe im Royal Opera House im Konzertereignis "Björk". © hotflick.netMit den bunten Saiten und einem goldenen Körper und einer Krone auf dem Kopf sieht die „Klangmaschine grenzenloser Kapazität“ (Parkins) Puff, dem kleinen Drachen (Peter, Paul and Mary: „Puff, The Magic Dragon“) ähnlich und macht mir Parkins Musik interessant und hörbar. Mit den klimpernden Engelstönen einer akustischen Konzertharfe hat Parkins Spiel wenig Gemeinsamkeit. Weil ich den ununterbrochenen Tanz vor der Pause noch im Kopf habe, sehe ich auch die Musikerin als Tänzerin. Der Tanz der Hände auf den Saiten, die Kraft der Finger und Arme, die sie einsetzen muss, das Beugen des Kopfes, das Mienenspiel, der Einsatz der Füße am Pedal, diesmal ist es ein Tanz mit Musik, Musik die ,verstärkt durch die Elektronik, zart und hart, rauschend und glänzend klingt.Die getanzte Partitur zeigt die Struktur der Komposition.  © Thomas Dunn Im letzten Satz der Komposition „Captiva“ (das Album ist in der Rauschenberg Residency auf Captiva Island, einer kleinen Insel vor der Westküste Floridas, entstanden) gibt Parkins dem Publikum eine Lektion über die Möglichkeiten, ihrer goldenen Harfe Töne zu entlocken. Es wird gezupft und geschabt, gerissen und geklopft, gesägt und im Glissando gestöhnt, das Pedal verlängert die Töne, die Hände beenden den Nachklang. Wie die 50 nahezu lautlosen Minuten vergehen auch die tönenden im Flug. Für den ereignisreichen Abend hat sich das Publikum, Tanzaffine und Konzertfreund*innen, enthusiastisch bedankt.

DD Dorvillier: „Danza Permanente“; Zeena Parkins: „Captiva“, Doppelabend im Tanzquartier in Kooperation mit Wien Modern, 20., 21. November 2019.
DD Dorvillier: „Danza Permanente“, Choreografie, Konzept: DD Dorvillier. Akustik, Musikregie, Analyse: Zeena Parkins. Performer*innen: Katerina Andreou (Violine), Liza Baliasnaja (Violine), Sébastien Chatellier (Viola), Walter Dundervill (Violoncello). Lichtdesign: Thomas Dunn; Technische Leitung: Nicolas Barrot. Entstanden 2012, Wiederaufnahme 2019.
Zeena Parkins: „Captiva“. Komposition, Performance: Zeena Parkins. Elektronik entwickelt in Zusammenarbeit mit Matthew Ostrowski.