Balé da Cidade de São Paulo „Um Jeito de Corpo“
Das von Ismael Ivo geleitete Ballet von São Paulo zeigt bei ImPulsTanz „Um Jeito de Corpo“, eine Choreografie von Morena Nascimento. Ein buntes, akrobatisches Ballett mit 30 dynamischen Tänzer*innen. Um die Show richig beurteilen zu können, müsste ich mehr wissen über die Tanztradition an der Oper von São Paulo. Das Pulikum im Burgtheater war jedenfalls begeistert und holte die Tänzer*innen samt ihrem künstlerischen Leiter, Ismael Ivo, mehrmals vor den Vorhang.
Der Titel, auf Deutsch „Ein Weg des Körpers“, ist Programm. Die brasilianische Choreografin Morena Nascimento, von 2008 bis 2010 festes Mitglied im Tanztheater Wuppertal, hat mit der vitalen Compagnie der Stadt São Paulo einen Tanzabend zu Ehren des Sängers und Komponisten Caetano Veloso erarbeitet. Zugleich erinnert sie auch an die kurz vor ihrem 69. Geburtstag 2009 verstorbene Gründerin das Tanztheaters Wuppertal, Pina Bausch. Gleich zu Beginn wird ein Foto der verehrten Choreografin hochgehalten, um deren Einfluss auf Nascimento und ihre Arbeit zu betonen. Im Mittelpunkt jedoch steht Caetano Velosos. „Cantanear“ nennt Nascimento das Universum des bedeutenden brasilianischen Musikers, der gemeinsam mit Gilberto Gil und anderen Künstlern die Música Popular Brasileira revolutioniert und den „Tropicálismo“ nicht nur als Musikstil, sondern auch als kulturelle Bewegung und Haltung definiert hat. Während der Militärdiktatur in Brasilien 1964–1984 sind Gil und Veloso verhaftet und eingekerkert worden, ihre Musik, die auch ihr politisches Engagement ausgedrückt hat, war, wie die Kompositionen vieler anderer, nicht genehm. 1968 haben Gil und Veloso die Heimat verlassen und sind nach London ins Exil gegangen. 1972 hat Veloso die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, sein Engagement hat er sich niemals nehmen lassen. Vor einem halben Jahrhundert ist Velosos Album „Tropicália“ erschienen, und das war für Nascimento ein Grund, mit dem 50-Jahr-Jubiläum der Compagnie von São Paulo 2018 zugleich den Musiker zu feiern.
Nascimento und der musikalische Leiter Cacá Machado lassen jedoch weder die Tänzerinnen und Tänzer noch das Publikum im Tropcálismo schwelgen. Die Kompositionen wurden verändert, mit Werken anderer Komponisten gesampelt und gekürzt. Veloso singt seine Lieder, doch wer in Wien versteht schon Brasilianisch! Die Choreografin übersetzt des Sängers lebhafte Gebärdensprache in Tanz und zeigt in (mitunter etwas zu) deutlichen Bildern kleine Geschichten und große Gefühle.
30 Tänzerinnen und Tänzer sind auf der Bühne, bewegen sich synchron zur Musik als Gruppe, zeigen Solos und Duette und wechseln die bunten Kostüme im Flug. Isadora Gallas hat die schwingenden Röcke, Blousons und Tücher aus in Neonfarben leuchtendem Organza entworfen und sie Männern wie Frauen übergezogen. Die Windmaschine hat viel zu tun in dieser Stunde und manchmal meint man, die Tänzer mit gebauschten Ärmeln wie Schmetterlinge fliegen zu sehen. Im ausgeklügelten Lichtdesign von Aline Santini wechselt die Stimmung von hell zu dunkel, die Gruppe ist nur noch als Schatten sichtbar, während sich an der Bühnenrampe ein Liebesdrama abspielt oder eine zauberhafte Ballerina die Schleier wehen lässt. Das einfache Bühnenbild von Marcel Kaskeline zeigt einen Hinterhof, ein verfallendes Haus, ein Gefängnis, der Himmel wechselt vom beruhigenden Blau über glühendes Rot zum düsteren Schwarz. Die Farbenpracht der Bilder, so sagt die Choreografin, erinnert an Velosos Geburtsstadt Bahia mit ihren bunten Häusern, die auch sie selbst gerne besucht.
Tanz als politisches Statement. Ist der Beginn noch ein heiteres Chaos, bis sich die Compagnie in einer langen Linie formt, zu der sie auch später immer findet, als Mauer parallel zur Rampe stehend, als endlose Schlange die Bühne im Laufschritt querend, so wird der Tanzkörper bald zur politischen Botschaft, berichtet von Aggression und Folter, von Diskriminierung und Vergewaltigung. Sehnsucht nach Frieden und Freiheit wird wach, wenn weiße Federn sanft zu Boden segeln oder die Tänzer Pfauenfedern wie Friedensfahnen hochhalten. Im Finale wandern die Verletzten und Geschundenen dem Licht entgegen, ein Einzelner bleibt zurück, tanzt sich in wirbelnden Drehungen Wut und Trauer aus dem Leib. Wie die Einstellung zum Leben in südlichen Ländern, ist auch die zu Tanz und Ballett eine andere als die der oft so missmutigen Mitteleuropäer*innen. Pina Bauschs Choreografie von „Masurca Fogo“, entstanden in Portugal und für die Expo 1998 in Lissabon erarbeitet, kann als Beispiel herangezogen werden. Bausch gilt von vielen als sakrosankt, ihre Werke werden nicht kritisiert. Ob ihr das recht gewesen wäre? So klaube ich auch aus „Um Jeito de Corpo“ keine Haare, schalte das Gehirn aus, und genieße unvoreingenommen die eingängigen Bilder, den akrobatischen Tanz ohne viel Firlefanz, die solistischen Ballettposen und die deutlich ausgedrückten Gedanken zu Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit inklusive der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Lasse mich von einem aufwühlenden wie poetischen Spektakel ergreifen, gebe mich auch dem Genuss der wirbelnden Tänzer*innen, dem Anflug von Humor durch einen bunt gekleideten Schamanen und den Bildern des Terrors und der Grausamkeit hin. Ein Abend, den man trotz des passenden Adjektivs „bunt“, nicht so schnell vergisst.
Nach der frenetisch beklatschten Premiere erhielt Ismael Ivo, der 1984 ImPulsTanz mitbegründet und seitdem als Tänzer, Choreograf und Workshop-Leiter das Festival wesentlich geprägt hat, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Die Verdienste Ivos für den Tanz in seiner Heimat Brasilien und in Europa sind unbestritten, der heftige Applaus drückte das Einverständnis und die Freude des Publikums über die Ehrung aus.
Ismael Ivo / Balé da Cidade de São Paulo & Morena Nascimento: „Um Jeito de Corpo“, 23. 24., 25. 26. Juli. 2019, ImpulsTanz im Burgtheater.
Fotos: © Karolina Miernik