Michael Laub / Remote Control: „Rolling“
Der filmbegeisterte Choreograf Michael Laub bringt 200 Filmschnipsel auf die Bühne und lässt die zehn Darsteller*innen seines Ensembles Remote Control plappern, singen und tanzen. Zwei Stunden dauert es, bis das Puzzle zu einem bunten Bild aus Life-Auftritten, Original-Soundtrack und Videoclips zusammengesetzt ist. Das in Berlin im vergangenen Juni uraufgeführte Theater-Musik-Tanzstück war im Rahmen von ImPulsTanz im Akademietheater in Wien zu sehen. Leichte Unterhaltung, zur Freude des Publikums.
Na gut, soll es sein: Michale Laubs Stück „Rolling“ ist möglicherweise eines seiner besten. Scheinbar willkürlich sind Filmzitate aneinandergereiht. Das ist der Witz der Idee und das Publikum versteht, lacht ununterbrochen, Aha-Erlebnisse eingeschlossen. Mehr ist nicht. Der Esprit frisst sich durch die Wiederholung der Wiederholung allmählich selbst auf.
Zu Beginn liest der erste Darsteller unzählige Filmtitel vom Smartphone ab, um einen kurzen Satz oder eine Geste aus dem genannten Streifen zu zitieren. Nach und nach kommen alle zehn Mitglieder von Remote Control auf die Bühne und zitieren, zeigen, spielen Kürzestfassungen von Filmen wie „Thelma & Louise“ oder (ach, wie schön, samt Sonnenuntergang auf dem Hintergrundvideo) „Tod in Venedig“, oder (Blondhaar, fuchtelnde Hände) „Die Vögel“, oder Horrorfilme, Historienschinken, Tanzfilme, Liebesfilme, Kriegsfilme, Musicalfilme. So fügt sich das unaufhörliche Plätschern auch an, wie ein ellenlanges Musical, in den immer von neuem kurzberockte Teenagerinnen hüpfen und gackern. Wer da keine Cineastin ist, zwischen Ballett und Konzert wenig Zeit fürs Kino hat, sitzt ziemlich oft daneben.
Der Mensch sucht immer nach einem Sinn, wenn schon nicht nach einer Begründung, auch für ein Bühnengeschehen. So arbeitet auch mein Gehirn und fügt die kleinen Fetzchen überraschend zu einer Erzählung zusammen. Im Zeitraffer blinzle ich in ein eingeordnetes Archiv. Das ist (zumindest bis zur Halbzeit) amüsant, abwechslungsreich und auch anstrengend, weil ich, wenn möglich, die uralten, echen Bilder und Inhalte hervorzurufen versuche.
Nach einer guten Stunde habe ich genug gesehen. Natürlich, das könnte ewig so weitergehen, und Zuschauer*innen, die zwischendurch ein kleines Nickerchen machen, behaupten nach 120 Minuten in der Filmzitatenschleife, dass sie noch mehr vertragen hätten. Michale Laub ist Kult und muss gelobt, ja gepriesen werden. Schon schön! Die Tänzer*innen, die Schauspieler*innen, die Sängerin, die feingliedrige Tänzerin Tian Gao aus China, die sind alle, zehn an der Zahl, großartig, eindrucksvoll, voll Energie bis zum Ende, und allein für die Text- und Gestenfülle, die sie gespeichert haben, zu bewundern. Und Laubs Idee, statt das lebendige und wandelbare Medium Tanz zu töten und fürs Archiv bestens ausgeleuchtet festzuhalten, das digitalisierte Archivmedium Film wieder zum Leben zu erwecken und live auf der Bühne zu zeigen, ist großartig.
Doch was soll‘s? Das schnurrt alles so glatt und bruchlos ab, man amüsiert sich und behält im Gedächtnis, was ohnehin schon gespeichert war, „Thelma & Louise“ von Ridley Scott etwa, oder „Tod in Venedig“ von Luchino Visconti. Nur die unappetitlichen Szenen aus dem „Bad Lieutenant“ von Abel Ferrara (oder war’s das Remake, das Werner Herzog 15 Jahre danach gedreht hat?) wollte ich schon damals nicht sehen und auch heute muss ich sinnlose und emeine Brutalität nicht haben. Nicht auf der leinwand, nicht auf der Bühne.
Zum Ausgleich hätte Laub, könnte er sich beherrschen und müsste das Publikum nicht 120 Minuten im Theatersitz bewegungslos gefangen halten, den musikalischen Tanz- und Theaterzirkus mit einem eleganten Finale ausklingen lassen können. Es war da. Die in Berlin lebende chinesisiche Tänzerin Tian Gao hat es gezeigt. Doch die Erzählung des Filminhalts, ihren Synchrontanz zum hinter ihr gespielten chinesischen Original und den von ihr dominierten Ausschnitt aus „Der letzte Kaiser“ (Bernardo Bertolucci, 1987) wollte Laub ihr nicht als krönenden Abschluss gönnen. Der Filmfreak, wie er sich selbst bezeichnet, kann nicht aufhören. Die Schleife schließt sich, am Ende sind wir wieder am Anfang.
Tian Gao möchte ich allerdings wiedersehen. Als verträumt im Mondenschein tanzende Suizi aus „Youth“, einem chinesischen Film, der es wohl nie nach Europa geschafft hat, oder als Tai-Chi Tänzerin, oder bei Sasha Waltz, wo sie schon einmal engagiert war, oder in einer ihrer eigenen Choreografien. Wenn sie die lange, meditative Tai-Chi-Szene (die Einschüsse aus anderen Filmen bringen das Publikum zum Lachen) tanzt, ist dann doch der Unterschied zu erkennen: Tian Gao kann‘s, die anderen neun ahmen es nach.
Für mich jedenfalls wäre mit dieser stillen Szene der Abend noch zu einem glücklichen Ende gekommen. Das war mir nicht vergönnt, the show must go on, go on and on.
P. S: „Rolling“ steht bei der Entstehung eines Films in der Mitte des dreiteiligen Befehls „Achtung – Kamera läuft – Action“. Auf Englisch: „Silence – Rolling –Action“.
„Rolling“. Choreografie und Konzept: Michael Laub, Greg Zuccolo und Cast mit Maxwell Cosmo Cramer, Lukas Gander, Tian Gao, Challenge Gumbodete, Melissa Holley, Florian Lenz, Gabrielle Miller, Melissa Anna Schmidt, Isabel Wamig, Greg Zuccolo. Video / Technische Leitung: Bodo Gottschalk; Licht: Nigel Edwards; Tonkonzept: Michale Laub; Tontechnik: Toni Bräutigam, Torsten Schwarzbach. 12. und 14. Juli, Akademietheater im Rahmen des ImPulsTanz Festivals.