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ImPulsTanz Festival: Doris Uhlich „Tank“

Doris Uhlich im Tank. © Axel Lambrette

Der Körper im Reagenzglas. Doris Uhlich ist konsequent, der Körper ist der Mittelpunkt ihrer Vorstellungen und Choreografien. Nicht nur physisch als Medium und Tanzkörper, auch gedanklich als Thema, um das sie kreist, „die Philosophie des Fleisches“. Auch in „Tank“, ein im März dieses Jahres im Tanzhaus NRW uraufgeführtes Solo, ist der Körper, eingeschlossen in einen gläsernen Zylinder, reales und gedachtes Zentrum. Im Rahmen von ImPulsTanz hat die Wiener Premiere im Odeon stattgefunden.

Mit Kopf und Körper denkt Uhlich an die Zukunft, an ihre eigene und an die aller. In „Tank“ versucht sie, sichtbar zu machen, wie der Körper auf Biotechnologie, computergesteuerte Maschinen und Digitalisierung reagieren wird. Sie ist selbst das Versuchsobjekt, in einem Tank tanzt sie eine effektvolle Vision.

Nur nebelhaft ist anfangs die Figur zu erkennen. © Axel Lambrette Ein opaker Glaszylinder, erfüllt und umhüllt von grauen Nebelschwaden. Eine Hand klebt an der Wand, noch eine, schwarze Haare peitschen die Schwaden, elektronische Musik hämmert. Allmählich lichtet sich der Schleier, im durchsichtigen Tank bewegt sich ein nackter Frauenkörper. Der Raum ist eingeschränkt, der isolierte Körper stößt immer wieder an die Wände, die Brüste werden ans Glas gepresst, das Fleisch zittert, die Extremitäten scheinen nur locker am Rumpf zu hängen. In der Froschstellung mit eingezogenem Kopf erscheint die Rückenansicht des Torsos nicht mehr menschlich – ein bissel unheimlich ist das. Die Bewegungen sind eckig und abrupt, als würden sie von außen gesteuert. Später verschwinden Körperteile durch Licht- und Schatteneffekte (Sergio Pessanha): Ein dünner Knochen baumelt an einem Oberschenkel ohne Körper, ein Arm bewegt sich ohne Schulter, ein sich im Rhythmus hebend und senkendes Zwerchfell scheint von alleine zu atmen. Immer mehr wird die Performerin Doris Uhlich zu einem fremden Wesen, einem Alien, das im Glaszylinder zu Forschungszwecken eingesperrt ist.Doris Uhlich als "Seismic Danzer" auf dem Rüttelbrett.  © Emma Szaó

Das genau will die Choreografin und Tänzerin auch zeigen. Sie will wissen, wie es sich anfühlt, wenn der menschliche Körper sich verändert, mit Ersatzteilen funktioniert, vielleicht selbst zur Maschine wird. Gemeinsam mit dem Electronic Musiker Boris Kopeinig hat Uhlich ihr Solo entworfen und auch die Texte geschrieben, die, nach einer entspannten Ruhepause in der Stille, überraschend gesprochen und (fast) gesungen werden. Dabei sinniert sie über den Körper als Maschine: Car-machine, Tank-machine, Muscle-machine, Love-machine, vielleicht auch Brain-machine. Angst oder Hoffnung? Doris Uhlich wertet nicht, sie zeigt. Den gläsernen Zylinder hat das Berliner Kollektiv proper space (Angela Tibera, Konstanze Grotkopp, Juliette Colas) gebaut.

Seit langem schon beschäftigt sich die experimentierfreudige Doris Uhlich mit der Zukunft. Bereits 2011 hat sie „Uhlich“ konzipiert und ihre Mutter, Gertrud Uhlich, als Darstellerin eingeladen. „ich wollte wissen, wie ich einmal aussehen, wie ich einmal sein werde“, hat sie als Erklärung gegeben. 2016 hat sie sich als „Seismic Dancer“ von einem Rüttelbrett durchschütteln lassen, um ihren Körper als „physisches Ventil“ zu zeigen, „um die komplexe Gegenwart als einen beweglichen Körper zu begreifen. Der Körper, der Raum werden aufgerüttelt, das Fleisch tanzt, Körper(ge)schichten in Vibration versetzt.“ Schon damals hat sie mit Boris Kopeinig zusammengearbeitet.Doris Uhlich und Michael Turinsky in "Ravemachine" © Theresa Rauter

Danach ist mit dem Tänzer und Choreografen Michael Turinsky, der sich nur mit Hilfe des Rollstuhls fortbewegen kann, die aufrüttelnde Performance „Ravemachine“ entstanden. Uhlich hat die Geräusche des elektrischen Rollstuhls gesampelt, verstärkt und in Techno-Beats übersetzt. Dadurch wird in der Vorstellung eine Energie erzeugt, die die Tänzerin und den Tänzer beflügelt. Mensch und Maschine treten in einen Dialog, die Maschine wird zur Energiequelle. Die energetische Kopplung von Mensch und Maschine hat sie in „Every Body Electric“ gemeinsam mit physisch eingeschränkten Menschen als Gruppenstück umgesetzt. Die Maschine als körperliche Erweiterung kann auch ein Glücksbringer sein.
In „Tank“ wird der Mensch selbst zur Maschine. Nicht ganz, denn wenn alle Positionen und Schattierungen ausprobiert sind, kriecht das fremde Wesen aus dem Tank, gewinnt wieder die Freiheit und wird auf Zehenspitzen tanzend zu Doris Uhlich, die nicht nur mit der Zukunft spielt, sondern auch eine heimliche Sehnsucht nach dem Ballettschuh in sich spürt (siehe „Spitze“, das Erfolgsstück mit der unnachahmlichen ehemaligen Solotänzerin des Staatsopernballetts Susanne Kirnbauer, zehn Jahre danach für die Ausstellung „Die Spitze tanzt“ im Theatermuseum neu choreografiert.) Die Nebel haben sich gelichtet, die Frau im Tank wird sichtbar. © Axel Lambrette

Sie verwandelt sich also in eine Tänzerin, um zu zeigen, dass ihr Körper keineswegs eine Maschine ist, nur seinem Gedächtnis und den Befehlen des Gehirns gehorcht, schwitzt, riecht, Hunger und Durst verspürt. Dann verschwindet der Körper wieder in der Röhre. Gertrud Uhlich, Doris Mutter, platzt in die Versuchsanordnung und ist verwirrt. Sie zündet sich eine Zigarette an, umrundet den Glaskolben, weiß nicht, was die Tochter da drinnen vorhat. Doris singt es der Mama vor: „The Future, the new Future“ ist zu verstehen. Gertrud Uhlich dämpft ihre Zigarette aus und geht ab.

Das wäre ein schöner Schluss gewesen, doch die Performerin kommt nochmal auf die Bühne, muss noch einen Nachtrag anhängen und auch noch ein PS. Schade! Der Auftritt der Mutter ist als erklärende Pointe zu verstehen. Die hat sich die Tänzerin Uhlich selbst kaputt gemacht, und die Choreografin Uhlich konnte sie nicht bremsen. Vielleicht war deshalb der Applaus kurz und bündig, auch wenn das im ImPulsTanz Festival übliche jubelnde Geheule nicht gefehlt hat.

Doris Uhlich: „Tank“. Konzept. Doris Uhlich, Boris Kopeinig: Choreografie, Performance: Doris Uhlich, Special Guest: Gertrud Uhlich. Sound: Boris Kopeinig, Text: Boris Kopeinig, Doris Uhlich. Tank: Proper Space (Angela Ribera, Konstanze Grotkopp, Juliette Collas); Licht: Sergio Pessanha; Technische Betreuung: Gerald Pappenberger. Premiere: 12.7. 2019, Odeon, im Rahmen von ImPulsTanz.
Eine weitere Vorstellung am 14.7.2019.