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Bombana / Berlioz: „Roméo et Juliette“, Ballett

Das Ende in Tränen. Noch ist Juliette nicht wirklich tot.

Der italienische Choreograf Davide Bombana hat für das Wiener Staatsballett zur romantischen Musik von Héctor Berlioz ein Ballett geschaffen, in dem er den Focus in William Shakespeares jedem Kind bekannten Liebesdrama auf den gesellschaftlichen Aspekt und die Ursache des Dramas, den blutigen Zwist zwischen den rivalisierenden Familien, richtet. Die Uraufführung in der Volksoper zeigte ein eindrucksvolles Tanzdrama mit der "Symphonie dramatique Roméo et Juliette". Die Solist*innen des Staatsballetts, Maria Yakovleva, Masayu Kimoto, Rebecca Horner und Roman Lazik wurden mit ebenso begeistertem Applaus bedankt wie die übrigen Mitwirkenden samt dem Choreografen Bombana und dem Dirigenten Gerrit Prießnitz.

Romeo und Julia (Kinoto, Yakovleva) – schon verliebt, aber noch auf Distanz. Im Hintergrund der Chor. Héctor Berlioz hat mit seiner „Symphonie dramatique Roméo et Juliette“ ein Werk geschaffen, das ganz in der Romantik verwurzelt ist, in der das Überschreiten der Genregrenzen nahezu Programm war. So ist „Roméo et Juliette“ zwar sowohl eine Hommage an Ludwig van Beethoven, an William Shakespeare (und auch ein Ausdruck privater Liebesgeschichten), doch weder eine herkömmliche Symphonie, noch eine richtige Oper und auch kein Oratorium. Jetzt addiert Choreograf Davide Bombana auch noch den Tanz dazu, und weil er sich ganz der Musik unterordnet, fügen sich die Pas de Deux, Solos und Ensembleauftritte nahtlos ein. Bald wird man das Liebespaar auf der Ballettbühne nicht mehr mit Sergej Prokofjew allein assoziieren, und damit kommt auch Berlioz zu Ehren, dessen kaum aufgeführtes Werk mit seiner reichen Klangwelt mit Orchester, Sologesang und großem Chor jegliche Aufmerksamkeit verdient.

Von Beginn an weiß man, das ist eine düstere Geschichte. Die Königin Mab, Geist der Zwietarcht und irregeleiteter Träume, huscht noch vorbei bevor der Dirigent den Stab hebt. Das kann nicht gut gehen. Auch wenn es gerade ruhig ist zwischen den Montagues und den Capulets, sind Abneigung und Feindschaft deutlich zu spüren. Rebecca Horner als König Mab, geheimnisvoll und böse. Die kriegerischen Auseinandersetzungen werden nicht enden: "Tötest du meinen Mercutio, tötet ich deinen Tybalt“. Noch am Grab von Juliette und Roméo (Maria Yakovleva, Masayu Kimoto) drohen sie einander: „Niemals Frieden!“ Erst das insitierende flehentliche Bitten Pater Lorenzos, der tief bereut, dass er mit seinem Hochzeitssegen und dem Gift für den Scheintot Juliettes das tragische Ende eingeleitet hat, kann Montagues und Capulets bewegen, zur Besinnung zu kommen und angesichts des sinnlosen Sterbens ihre Rachegefühle zu begraben. Sie schwören „Freunde zu sein für immer.“ Doch Mab (Rebecca Horner), Anstifterin von Zwist und Hader, geistert wieder durch die Reihen. Sie hat Mercutio von Macht und Reichtum träumen lassen, Roméo das Messer in die Hand gedrückt, mit dem er Tybalt (unbeugsam in seinem unversöhnlichen Hass Martin Winter) tötet; sie hat Julia den Dolch in die Hand gegeben, mit dem sie ihrem eigenen Leben ein Ende bereitet.

Heftige Liebe. Roméo und Juoia haben sich voreinander geoutet. (Ykovleva, Kimoto)Übrigens halten sich Berlioz und Bombana im Finale an eine Interpretation des Shakespeare-Darstellers David Garrick (1717–1779), der die Sterbenden ein letztes kurzes Glück erleben lässt. Roméo der Juliette tot glaubt, nimmt Gift, doch wenn Juliette erwacht, ist er noch nicht tot. Berlioz wiederholt das Thema der „Scène d’amour“ im ersten Teil, das von Yakovleva und Kimoto in einem langen alle Gefühle zwischen Liebe, Begierde und Angst vor der Zukunft zeigenden Pas de deux berührend tanzen. Ist Yakovleva als Juliette gänzlich unverkitscht von tiefer ernster Liebe erfüllt, die jedoch nur in wenigen Augenblicken in himmelhohem Jauchzen gipfelt, so zeigt Kimoto auch, dass sein Testosteronspiegel am Überlaufen ist und verblüfft mit einem an Gefühlsausdruck reichen Mienenspiel. 

Rebecca Horner ist als Königin Mab (einer mit Puck aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ verwandten Figur, die im Drama nur in der Erzälung von Mercutio, bei Berlioz vom Tenor gesungen, vorkommt) eine böse Frau, die, einer Spinne gleich, ihre glitzernden Fäden zieht und Freude hat, Zwietracht zu säen. Mit Horner tanzen ihre Doubles: Tainá Ferreira Luiz, Suzanne Kertész, Dominika Kovacs-Galavics und Mila Schmidt. Ein unheimliches Quintett. Nicht nur Schauspielerinnen, auch Tänzerinnen lieben die das Drama vorantreibenden Rollen der Bösen.Roman Lazik als Pater Lorenzo, von Reue auf die Knie gezwungen.

Der Gute in der Geschichte ist Pater Lorenzo, der sich am Ende in Reue und Friedenssehnsucht windet und das Volk beschwört, das Schwert zu begraben. Roman Lazik ist ein berührender Friedensapostel, großartig von Yasushi Hirano unterstützt, der nicht nur seinen raumfüllenden Bass einsetzt, sondern auch weiß, was er da singt und wie der Tänzer den Text lebendig macht.Eine letzte Umarmung bevor das junge Paar gemeinsam stirbt (Yakovleva, Kimoto)

Die Düsternis des Geschehenes ist nicht nur in der Musik zu hören, sondern auch auf der Bühne  zu sehen. Die Künstlerin rosalie hat selbst den Tod vor Augen gehabt, als sie ihr letztes Werk geschaffen hat. Im Sommer ist sie gestorben.

Bombana hat ihr das Balett gewidmet, Peter Weibel hat den Nachruf im Programmheft geschrieben.
Die von rosalie gestaltete Bühne ist meist dunkel, von nachtblauen, blutroten und selten festlich weißen Röhren erleuchtet, auch die Kostüme, vor allem die der Herren sind dunkel, sodass auch der Ball mehr ein Gespenstertanz ist denn ein rauschendes Fest. Der Stachel des Todes ist von Anfang an zu spüren, und während alle noch an den ebenbesiegelten Frieden glauben, schwingt sich Mab aus den Lüften herab und zeigt, dass er nicht halten wird. Die Liebenden sind tot, Pater Lorenzo betet um Frieden, singend Yasushi Hirano,re.) und tanzend (Roman Lazik). Capulets und Montagues (der verstärkte Volkspernchor) benötigen lange Zeit, bis sie begreifen.

Am 19. Dezember wird Joanna Avraam, der kommende Stern am Himmel der Ersten Solistinnen, als Juliette zu sehen sein, Ihr Partner ist Francesco Costa. Gala Jovanovic schürt den Krieg als Königin Mab, Mihail Sosnovschi ist der fromme Pater Lorenzo. Da wird das Corps auch bereits Tritt gefasst haben und das Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz das Publikum wieder in einen Klangrausch versetzen.

Davide Bombana „Roméo et Juliette“ zur „Symphonie dramatique“ gleichen Titels von Héctor Berlioz. Dirigent: Gerrit Prießnitz, Ausstattung: rosalie, Realisation: Thomas Jürgens. Mit Maria Yakovleva, Masayu Kimoto, Rebecca Horner, Roman Lazik. Die Kampfhähne auf beiden Seiten: Alexander Kaden, Martin Winter, Gleb Shishov. Das Ensemble des Wiener Staatsballetts in der Volksoper. Uraufführung am 7. Dezember 2017.
Weitere Vorstellungen: 12., 15., 19., 22., 27. Dezember 2017.
Fotos von Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor