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Kommentar: Wenn die Chance zur Falle wird
Ballettdirektor Manuel Legris liebt seine gesamte Truppe und fordert sie auch entsprechend. Das ist gut so. Immerhin tanzt das Wiener Staatsballett unter seiner Führung inmitten der europäischen Spitzenensembles. Die Solist_innen reisen als Gäste von Rom bis Moskau, und nicht wenige von ihnen sind für den renommierten Prix Benois de la Danse nominiert. Zuletzt der Erste Solotänzer Davide Dato. Gerne lässt Legris jungen und ganz jungen Tänzer_innen in vorderster Reihe tanzen, vertraut ihnen so schwierige Partien, wie die des Prinzen Siegfried in Rudolf Nurejews Choreografie „Schwanensee“, an.
Ein Angebot, die sich keine und keiner entgehen lassen kann. Den Prinzen, die Prinzessin tanzen, einen kleinen Schwan oder gar ein Minisolo in einem Ballett von William Forsyte, früher als alle anderen an die Rampe treten, knicksen, verbeugen, im Applaus baden. Schön!
Ja, da liegt’s. Wenn die jungen, noch unfertigen zukünftigen Ballerinen und Danseurs nobles nicht intensiv betreut werden, wenn sie nicht genügend Zeit zum Proben erhalten, wenn Schlampereien, Unreinheiten nicht korrigiert werden, wenn an der Technik und am Ausdruck nicht speziell gefeilt wird, dann wird die große Chance zur Falle. Fatal!
„Zu früh“ nennt sich diese Gefahr, die auf alle ausübenden Künstler_innen lauert, an der die Karriere so mancher schon gescheitert ist. Letal!
Erfüllt die / der Auserwählte nicht die Erwartungen, wird sie / er fallen gelassen. War halt nichts!
Wenn zu wenig Zeit für intensives Studium der Rolle, keine Möglichkeit der speziellen Betreuung für ein Debüt gibt, dann ist der Sturz in das schwarze Loch vorprogrammiert und die Wunden mitunter unheilbar. Nachhaltigkeit darf nicht nur ein Schlagwort sein.
Junge Tänzer_innen brauchen jeglichen Anreiz, auch die Möglichkeit, sich auf der Bühne auszuprobieren, auch das Glück, eine große Rolle tanzen zu dürfen. Jedoch, Fortuna ist eine launische Person, sie hebt empor und lässt umso tiefer fallen. Sie leert ihr Füllhorn nur über jene aus, die unter liebevoller Anleitung hart arbeiten. Nicht jeder / jedem ist das Glück beschieden, eine ehemalige Erste Solotänzerin zur Freundin und persönlichen Lehrerin zu haben. Für die nötige Vorbereitung auf ein großes Debüt muss das Leitungsteam des Wiener Staatsballetts sorgen. „Mach mal!“ genügt nicht. Das junge Talent tanzt auf Gedeih und Verderb, das Ergebnis betrifft die gesamte Compagnie.
Der Ruf ist schnell ruiniert. Niemand tanzt dann ungeniert.
Der Direktor des Wiener Staatsballetts ist zugleich der Direktor der Ballettakademie. Die Ausbildung und Betreuung angehender Tänzer_innen ist ebenso seine Aufgabe wie die Pflege der Compagnie und das Erkennen heranwachsender Stars.
Aus nichts wird nichts. Eine Binsenweisheit, auch in des Direktors Muttersprache: On ne fait rien avec rien.
Dafür zu sorgen, dass die Chance nicht zur Falle wird, ist seine Aufgabe.
Die Chance darf nicht zur Falle werden. Ein Kommentar anlässlich der Debüts in „Schwanensee“, des Wiener Staatsballetts in der Staatsoper, 9. Juni 2017.