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Gedanken der Ungeduld im kühlen mumok-Kino
Spitz stechen ihre Brustwarzen in den Bühnenhimmel. Clara Furey hat (horribile dictu) schöne Brüste, dass sie diese herzeigt, mit nacktem Oberkörper agiert, ist mehr als recht und billig. Gesicht hat sie keines, denn solange ich ihrer Performance „When Even The“ während des ImPulsTanz Festivals zusehe, fallen die dunklen Haare davor, manchmal bedeckt sie Augen und Mund auch mit den Händen oder Armen. Bald wähne ich mich in der Kirche, das Kino im Keller des mumok ist kühl, das ritual heilig. Ich schaue Clara Furey und ihrerm Solo: "When Even The" zu.
Zur Einstimmung liegt Clara F. auf dem Rücken und demonstriert Bauchatmung. Dazu wabert die Komposition (ihres jüngeren Bruders Tomas F.). Die Vorstellung soll 90 Minuten dauern, ich beschließe angesichts der sich wölbenden und einsinkenden Bauchkuppel, zwei Drittel davon zu bleiben. In eine Meditationsstunde bin ich eigentlich nicht gekommen, auch nicht zu einer Gedenkstunde. Darauf bin ich nicht vorbereitet und auch nicht dafür geeignet. Geduld und Intensität der Performerin Clara F. sind an mich verschwendet.
Acht Minuten habe ich bereits geschafft, als Clara F. ihren Körper bewegt. Die ersten beiden Besucherinnen suchen den Ausgang. Das Licht strahlt auf und erlischt, blinkt im Takt der an- und abschwellenden elektronischen Soundwellen, Clara F. wirft einen Schlagschatten, zeigt Yogaübungen, oder was ich dafürhalte, kreist mit dem Becken – sie wird doch nicht…? Dabei lässt man doch niemanden zuschauen! Oder ist Intimität bereits ebenso pfui in der Performancegilde wie Schönheit? Ich sehe lieber Beckengymnastik.
Mitunter liegt Clara F. entspannt auf dem Boden, im Publikum blitzen verschämt die Displays auf, Schuhbänder werden neu geknüpft, Bärte gekrault, Augen geschlossen, ich denke an den interessanten Roman in meiner Tasche (Wilfried Steiner: „Trost der Rache“, handelt von der Sehnsucht nach den Sternen). 20 Minuten sind geschafft, sieben Personen verlassen den Raum. Wieder einmal liegt Clara F. ausgestreckt da und bewegt ihren rechten Daumen im Takt der zurzeit rhythmischen Klangglocke. Während wieder eine Partie aus dem Besinnungsraum abwandert, schiele ich auf die Uhr. Noch 5 Minuten, dann darf ich gehen, muss ich gehen, weil nichts, gar nichts, bei mir angekommen ist außer sich dehnender Langeweile. Die oktroyierte Innerlichkeit lehne ich ab.
Ich erinnere mich an die Vorstellung von Dorothée Munyaneza. Die Künstlerin aus Ruanda (mit britischem Pass in Frankreich lebend) versteht es, eine perfekte Bühnenschau mit bedenkenswertem, auch aufwühlendem Inhalt zu vermitteln, ohne das Publikum zu manipulieren, ohne Erschütterung zu erzwingen. Munyaneza ist bei jedem Auftritt authentisch, politisch relevant, ohne die Distanz zu verlieren. Sie bleibt Künstlerin und will nicht Therapeutin sein. Die politische Relevanz ihrer Auftritte ist ebenso wenig zu leugnen wie die Authentizität der Künstlerin.
Danach:
- erfahre ich, dass im Hintergrund ein Video von Clara Furey läuft, das das Live-Geschehen auf der Bühne ergänzt. Diese Möglichkeit ist mir nicht kommuniziert worden. Möglicherweise habe ich eine Aufzeichnung ihrer Original-Performance versäumt, die sie als Teil der Leonard Cohen gewidmeten Ausstellung „A Crack In Everything“ im Montreal Contemporary Museum (November 2017 bis April 2018) geschaffen und mit einer Skulptur von Marc Quinn, „Coaxial Plank Density“ genannt, 90 Mal gezeigt hat.
- lese ich im Programmheft, dass die unbeachtet verbogene Matte auf dem Boden der Bühne von Furey als Ergänzung ihres Solos gewählt worden ist. Der Schriftsteller Heimrad Bäcker († 2003) hat das metallische Objekt in Mauthausen gefunden, als Skulptur hat es in die Sammlung mumok Eingang gefunden. Mauthausen! Tod und Verlust! Das sind, sagt Clara Furey wichtige Themen ihres Solos. Leicht hingesagt mit 35. Mehr als doppelt so alt, genügen mir zur erzwungenen Erschütterung keine Atemübungen mehr.
- weiß ich, dass sich der Titel der Performance auf das gleichnamige Gedicht Leonard Cohens bezieht, das in hingeworfenen Seufzern vom unendlichen, nicht zu sättigendem Begehren spricht. Von Cohens „Aufrichtigkeit, zuzugeben, dass er verzweifelt ist, weil er alles haben will, von seinem Bewusstsein für diese Krankheit, die die meisten von uns heute haben, niemals zufrieden und nicht im gegenwärtigen Moment zu sein“, hat sich Furey inspirieren lassen.
- zweifle ich, ob sich Ungeduld und Verständnislosigkeit und Ärger wegen gespürter Vereinnahmung durch all dieses Wissen hätten bändigen lassen.
Gedanken einer Ungeduldigen: „When Even The“, Soloperformance von Clara Furey + Skulptur von Heimrad Bäcker, von Furey aus der Sammlung mumok ausgewählt. 28. Juli 2018, mumok im rahmen von ImPulsTanz.