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ImPulsTanz: 2 Mal Oper – Jule Flierl, Ivo Dimchev

Julia Flierl: "Operation Orpheus" © Sémiah Cebt / la Panacee

Mit zwei Performances geht das ImPulsTanz Festival in die Oper. Ein ganzer Opernabend im Akademietheater, ein Fragment als perfekte Performance aus Geste und Gesang im mumok. Jule Flierl nimmt für ihre „Operation Orpheus“ Christoph Willibald Glucks barocke Oper „Orfeo e Euridice“ als Basis ihrer Variation; Ivo Dimchev zeigt mit „Operville“ seine Vorstellung von Oper heute – oder morgen. Flierls nur halb so langes Solos, schlägt Dimchevs wenig aufregende Show à trois, durch Klugheit des Gedankens, Intensität der Gesten, Schönheit des Gesangs.

„Operation Orpheus“ – eine Geschichte, ein Mythos viel mehr, eine berühmte Melodie, ein trauriger Text; eine bewegte Skulptur, die mit zarter Stimme die erste Zeile, nur die erste Zeile, der Verzweiflungsarie des Orpheus interpretiert, seziert, komprimiert, zerdehnt; Gesten in aller Stille, Gesten, die den Schmerz aus dem Körper holen, Gesten im Einklang mit der Musik.

Flierl, das Gesicht mit weißer Trauerbemalun, ist Orpheus, der um seine Euridice klagt. Er hat versagt, hätte die Verlorene aus dem Hades zurückholen können, wenn er sich auf dem Weg in die Oberwelt nicht umgedreht, die Geliebte nicht angesehen hätte, doch er beseht die Prüfung nicht. Euridice hat ihm vorgeworfen, sie nicht mehr zu lieben. Das rührt ihn, er dreht sich um – verliert sie für immer. Sein Jammern nimmt kein Ende: „Che farò senza Euridice / Was werde ich ohne Euridice machen?“. Glucks Noten sind Basis und Quelle der Performance. „Euridice, Euridice“ schluchzt Flierl, ihre Stimme (die Arie ist für einen Kastraten geschrieben) kommt aus dem Bauch, die Gesten der Verzweiflung, des Schmerzes ebenfalls. Einmal geht die Performerin in die Knie, gleich steht sie wieder, drückt die Gefühle mit den Schultern, den Armen, den Händen aus, erstarrt mitten drin, nur die Stimme bleibt lebendig, füllt den dekorationslosen Raum im mumok-Unterschoß (-3), der Oprheus’ Bühne ist. Jule Flierl wandert durch die wenigen Noten der Partitur, findet das, was nicht geschrieben ist, zeigt, was zwischen den Zeilen steht. Jule Flierl: Gesten und Gesang © Sémiah Cebt / La Panacee

Auch wenn die Töne dieser Anfangszeile der Arie des Orpheus isoliert und gestreckt, wiederholt und verzerrt werden (Flierl singt ohne Begleitung), bleibt Glucks Melodie erkennbar, wird intensiver, quälender, zur endlosen Klage. Auf die niemand antwortet, nur das Echo hallt aus der hohen Flucht der Säle im Keller des mumok. Die Stimme bricht, ein letztes Schluchzen: „Euridice, Euridice!“, Flierl steigt in den gläsernen Aufzug, Orpheus flieht, fliegt aus der Unterwelt nach oben. Er kann nicht aufhören zu weinen, aus dem Himmel der Ebene 5 schwebt sein Gesang zu allen, die Ohren haben.

Ivo Dimchev im Terzett von "Operville" © Ivo DimchevAm Opernhimmel nichts Neues. Am Abend davor hat Ivo Dimchev drei Stimmen in den Mittelpunkt seiner Show, uraufgeführt im März 2015 in Brüssel, gestellt. Ganz traut er dem Vokalisieren, dem Gurren, Schnurren, Knurren, Brummen, Tirilieren, Skandieren und Improvisieren doch nicht, im Hintergrund läuft endloser Text über einen Bildschirm. Hören, schauen, lesen, mitdenken? Bissel viel auf einmal. Manche der Zeilen scheinen poetisch, andere sophisticated, auch zynisch oder (unvermeidlich) ordinär. Doch eigentlich fährt der Performer Dimchev auf einer neuen Schiene, zurückhaltend, vorsichtig, im Terzett (mit Plamena Girginova, Nickolay Voynov), ohne Mätzchen und Sperenzchen, kein Genderwechsel, kein Nackttanz. Mit weißer Perücke mimt er einen gebrechlichen alten Mann, der hie und da versucht im Diskant zu singen, aber meist eher knurrt. Dennoch – neben Dimchev auf der Bühne zu stehen, ist schwierig, auch die besten Performer_innen, die höchst virtuosen Sänger_innen sind lediglich blasse Assistenten. Was er, längst zum Superperformer erhoben, mit dieser Stunde, die ihm das Akademietheater geöffnet hat, sagen will, wird nicht klar. Erzählt wird nichts. Er will halt den Löwen auch spielen.

Juli Flierl: „Operation Orpheus“, 24. Juli im Rahmen von [8:tension] / ImPulsTanz, mumok.
Weitere Vorstellungen: 26. Juli, 3. August 2016.

Ivo Dimchev: „Operville“, Performance, Improvisation: Plamena Girginova, Nickolay Voynov, Ivo Dimchev. 25. Juli, ImPulsTanz im Akademietheater.