Suche
"Die Legende von Verdis Violetta" im Dschungel
Als „Legende von Verdis Violetta“ erzählen im Dschungel junge Darsteller und Darstellerinnen die Geschichte der „Kameliendame“, wie sie Alexandre Dumas in seinem 1848 erschienen Roman nennt. Violetta Valery (so ist die Rolle in Giuseppe Verdis Oper genannt) ist eine Puppe, geführt von Viviane Podlich, Studentin der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Sie hat mit der Produktion ihre Abschlussarbeit (Ensemble) absolviert. Mit zwei Kollegen, einer jungen, Sängerin und der Puppe Violetta hat sie ihre Prüfung wohl bestanden.
Regisseurin (und Lehrerin) Astrid Griesbach hat die jungen Mitwirkenden wohl alleine werken lassen, an diesem Stoff der nicht nur längst Mythos sondern in seiner Tiefe und Komplexität für Jugendliche kaum erfassbar. Griesbach sagt im Interview, dass ihr die „Stärke der Figur“ wichtig sei: „Sie lässt sich nicht zum Opfer machen…“ (Programmzettel).
Das ist neu. Eine Umdeutung Deutung der Violetta Valery, genannt „La Traviata“,das heißt „Die vom Wege Abgekommene“. In der Romanvorlage „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas heißt die Figur Marguerite Gautier, doch ihr wirklicher Namen, denn sie hat tatsächlich gelebt, wenn auch nur 23 Jahre, war Alphonsine Plessis, die sich, als sie von der bettelarmen blutjungen Dienstmagd zur begehrten Kurtisane (der romantische Euphemismus für Prostituierte) aufgestiegen war, Marie Duplessis genannt hat. Dass ihr in den 1840 Jahren tout Paris (nicht nur) zu Füßen lag, stimmt ebenso wie ihr Tuberklosesiechtum und der frühe Tod. Im Roman hat Dumas, der selbst einer der Liebhaber der Marie Duplessis war, ihr Leben und sein Lieben romantisierte. Später hat er „Marguerite“ in der Bühnenfassung, zu einer romantischen Heldin stilisiert und die so zu Herzen gehende tragische Liebesgeschichte in den Mittelpunkt gestellt. Das wiederum Giuseppe Verdi begeistert (nicht zuletzt, weil auch er in einer Beziehung mit einer „vom Wege Abgekommenen“ gelebt hat). Gemeinsam mit dem Librettisten Francesco Maria Piave hat er die gesellschaftskritische Geschichte auf das Herzschmerz-Drama von Liebe und Tod kondensiert.
Welches Thema für eine Bearbeitung! Doch wer von den eingeladenen 13- bis 15jährigen kennt wenigstens Teile der Geschichte (vom Roman, dem Theaterstück, der Oper oder gar vom wahren Leben der Marie Duplessis)? Jedenfalls haben sie heftig applaudiert. Doch vermitteln die 75 Minuten aus dem Leben einer Edelkurtisane, eher kühle Langeweile als gefühlvolle Wärme. Zumal die Darsteller_innen (sie sind auch die voyeuristische Gesellschaft) offenbar dazu angehalten sind, nicht zu spielen, sondern zu berichten und schon zu Beginn mit einer langatmigen Baubesprechung die Aufmerksamkeit auf eine harte Probe stellen. Nur bei Verdi setzt die Geschichte zu Lebzeiten seiner Heldin ein und erzählt schön chronologisch. Viele andere Versionen, vom Roman über das Ballett bis zum Film, erhöhen die Dramatik genau dadurch, dass gezeigt wird, wie elend Violetta Valery (oder Marguerite Gautier) zugrunde gegangen ist.
Sei’s drum. Lobend zu erwähnen sind nicht nur die (Karaoke-)Sängerin und Masterstudentin in Berlin Nataliya Stepanyak, deren ausdrucksvolle Stimme fast zu groß ist für den kleinen Raum im Dschungel und die Puppenmacherin Lisette Schürer. Ihre Violetta mit glühenden Augen und roter Punkfrisur im überweiten Rock aus Ballonseide (ohne Unterleib also) wird von Viviane Podlich ganz entzückend geführt. Auch der Vater des Liebhabers Alfred, der seinem Sohn den Umgang mit der nicht gesellschaftsfähigen jungen Frau verbietet, ist eine Puppe, Violettas Gewissen eine Schattenfigur im Inneren des Gewandes. Bühne, Kostüm und Licht hat Vanessa Achilles-Broutin gestaltet. Den Bezug zu heute habe ich nicht gefunden und denke während der Vorstellung nicht an Anna Netrebko sondern an Julia Roberts. Auch sie eine Edle, die ihren Körper verkauft und schließlich ihr Herz verliert („Pretty Woman“), aber sie muss nicht sterben. Der Stoff ist längst zur Komödie mutiert.
„Die Legende von Verdis Violetta“, Schauspiel, Puppen- und Musiktheater, Dschungel Wien & Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin.
Weitere Aufführungen im Dschungel Wien: 2. und 3. Juni.