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Gulnare in „Le Corsaire“: Debut für Ioanna Avraam
Überraschung. In bester Form ist dem Wiener Staatsballett auch in der 29. Aufführung des Balletts „Le Corsaire“ in der Choreografie von Ballettchef Manuel Legris eine animierende, gar nicht langweilige Vorstellung gelungen. Mit Perfektion und einer lebendigen Rollengestaltung erfreuten vor allem Ioanna Avraam mit ihrem Rollendebüt als Gulnare und Sveva Gargiulo als Zulméa. Das Publikum spendet reichlich Applaus und ist von den Auftritten Liudmila Konovalovas als Médora und Ballerina im Divertissement „le jardin animé“ besonders hingerissen.
Die Solotänzerin Ionna Avraam ist eine technisch versierte Ballerina, die ihren Rollen eine eigene Note zu geben weiß. Ich sehe eine gänzlich neue Gulnare, der berühmte „Pas d’esclave“, wenn der Sklavenhändler Lanquedem (ein gelungenes Debüt für Leonardo Basilio) dem Pascha seine Gefangene vorführt, ist nicht mehr peinlich. Avraam macht klar, dass Gulnare anders als ihre Freundin Médora (Liudmila Konovalova tanzt sie, als käme Médora aus einer Adelsfamilie) ist, ein richtig frivoles Mädchen, das nicht mit seinen Reizen geizt und auch nichts dagegen hat, die Erste in des Paschas Harem zu werden. Als Solistin im „belebten Garten“ zeigt sie Grazie und Anmut. Dass sie diese großartige Rollengestaltung und ihre hervorragende Technik nur einmal zeigen darf, ist ein Jammer. Doch sie ist nicht allein mit dieser Usance des Ballettchefs: Jakob Feyferlik (Conrad), Dumitru Taran (Lanquedem) haben am 19. Mai ihr Rollendebut gehabt und sind in diesen Rollen bis Saisonende nicht mehr zu sehen. Ebenso geht es Géraud Wielick (Lanquedem, 3. Mai) und Leonardo Basilio als Lanquedem. Nur Sveva Gargiulo (Debut, 19. Mai) hat das Glück, ein zweites Mal auftreten zu dürfen. Geplant war Solotänzerin Alice Firenze als Zulméa. Die Arbeit der Ballettmeister*innen, die anstrengenden Proben und das Lampenfieber sind für den Einmalgebrauch verschwendet. Auch die Rollenidentifizierung, die sich oft erst im Lauf einiger Auftritte verfeinern kann, geht verloren. Robert Gabdullin, der den Conrad schon bei der Premiere 2016 getanzt hat, zeigt dies. Mir scheint, endlich ist ihm der Knopf aufgegangen. Sein Conrad ist lebhaft und fröhlich, deutlich zeigt er, wie Médoras Schönheit ihn entzückt. Gabdullin ist in dieser Vorstellung kein Prinz unter Piraten mehr, sondern der oberste und bald sehr verliebte Seeräuber.
Neben Avraam hat mich auch Gargiulo als Zulméa erfreut. Sie scheint auf Birbanto (Masayu Kimoto, wieder bestens in Form, bravourös und präsent; als Birbanto richtig intrigant) gewartet zu haben, weiß sie doch, dass ein Schiffsreisender in jedem Hafen eine Liebe hat. Die Halbsolistin Gargiulo, an der Ballettschule der Mailänder Scala ausgebildet, ist eine zarte Tänzerin, die besonders durch ihre Leichtfüßigkeit und die schnellen Battements und Fouettés auffällt. Dass sie auch Humor hat, konnte sie in Trevor Haydns köstlicher Chreografie "Double Date" zeigen. Zu wahren Applausorgien reißt sie mit Kimoto und den zwei Piratenpaaren (darunter Iulia Tcauic im Rollendebut) das Publikum im fröhlichen „Pas des Forbans“ (Tanz der Piraten) zur fetzigen Musik von Cesare Pugni hin.
Nicht nur der Pascha und Lanquedem sehen den drei Odalisken mit Vergnügen zu, auch ich mit dem gesamten Publikum. Lanquedem hat ja Médora aus dem Schlafzimmer Conrads entführt und in den Harem gebracht, dafür muss es ein Honorar geben, ich habe den Verdacht, dass die drei zauberhaften Sklavinnen dafür herhalten müssen. Jedenfalls bekäme Lanquedem neben den verlässlichen Halbsolistinnen Eszter Ledán und Anita Manolova auch einen Neuzugang geschenkt. Fiona McGee, seit 2017 im Ensemble, 2018 zur Halbsolistin avanciert, hat zum ersten Mal als dritte Odaliske getanzt. Ob inmitten des Ensembles oder als Solistin, die grazile, sprungkräftige Tänzerin aus London fasziniert mich immer wieder. Leonardo Basilio macht als Lanquedem gute Figur, ist mir aber als böser Sklavenhändler etwas zu weich im Port de bras und zu sympathisch in der Rolle. Die Entwicklung des Halbsolisten, dem Legris gerne Solorollen anvertraut, ist jedoch deutlich zu sehen, er springt höher und kommt sicherer auf den Boden. Das Ensemble, Tänzerinnen wie Tänzer, war mit Verve und Freude dabei, sodass die gesamte Aufführung kurzweilig und wie aus einem Guss erschienen ist.
„Le Corsaire“, Ballett in drei Akten. Choreografie: Manuel Legris nach Marius Petipa und anderen; Musik von Adolphe Adam und vielen anderen. Dirigent: Valery Ovsyanikov. Mit Debüts von Ioanna Avraam (Gulnare), Leonardo Basilio (Lanquedem); Sveva Gargiulo am 19. Mai als Zulméa; Fiona McGee als Odaliske. 29. Aufführung, 23. Mai 2019, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos von Ashley Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor