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Uraufführung: „Marie Antoinette“ tanzlin.z
Ein Probenbesuch in Linz gibt Einblick in das neue spannende Tanzstück von Mei Hong Lin. Am 30. März hat „Marie Antoinette“ im Musiktheater Premiere.
Eine Fremde, zuerst geliebt und dann beschimpft und gehasst. Marie Antoinette, die Königin aus Österreich auf dem Thron in Frankreich. Anfangs fand ganz Paris die junge Frau einfach bezaubernd. Doch als ein Sündenbock gesucht wurde, war der Zauber längst verblasst, die im goldenen Käfig von Versailles eingesperrte Frau, Mutter, Königin, Ausländerin war schnell gefunden. Ihr wurde die Schuld an allem Übel zugeschrieben, sie war das willkommene Opfer des tobenden Pöbels und der sich auflösenden adeligen Gesellschaft. Was hat diese Frau, aus höchster Höhe in tiefste Tiefe gefallen, bewegt?
Mei Hong Lin, Ballett Chefin am Linzer Landestheater, versucht diese Frage mit ihrer Compagnie tanzlin.z zu beantworten. Akribisch hat sie recherchiert und ist in das Leben Marie Antoinettes eingetaucht, die mit 14 Jahren aus dynastischen Gründen in eine Ehe mit einem noch recht kindlichen jungen Mann gezwungen worden war, den auch niemand gefragt hatte. Im Gespräch wird Mei Hong immer mehr zur Anwältin der 1793 unter dem Gejohle des Volkes enthaupteten Königin.
„Ich will keine Chronik des Lebens der Marie Antoinette zeigen, mich interessiert, wie es im Inneren dieser Frau ausgesehen hat,“ sagt die Choreografin, die nach dem Tod des Linzer Ballettchefs Jochen Ulrich in der Spielzeit 2013 / 2014 in Linz das Tanzensemble leitet. In einprägsamen Szenen zeigt sie wichtige Wendepunkte im Leben der Österreicherin auf dem französischen Königsthron. „Es sind drei Tänzerinnen, die die Titelfigur interpretieren. Das junge unerfahrene, naive Mädchen, die keine Ahnung hat, wozu sie auserkoren ist, auch nicht besonders viel gelernt hat, außer ein wenig Cembalo und Harfe zu spielen; die Ehefrau und Mutter, wobei die Ehe nicht sehr gut lief, von Liebe war von beiden Seien keine Spur. Marie Antoinette musste ihre Pflicht erfüllen, einen Thronfolger zur Welt bringen. Das klappte sieben Jahre lang nicht. Als letzte kommt die reife Frau auf die Bühne, die ihre große Liebe erlebt und in ihrem kleinen Mustergut, le petit Trianon, in der Natur Ruhe findet. Das Volk, das an den Mauern rüttelt und den Aufstand plant, blendet sie aus.“ Wie und ob überhaupt, der Tod dargestellt werden soll, darüber muss die Choreografin noch nachdenken. Noch sind drei Wochen Zeit bis zur Premiere.
Für Mei Hong Lin durchlebt Marie Antoinette eine schwindelnde Entwicklung. „Zuerst war sie in Frankreich sehr beliebt, eine junge Frau mit einem fein entwickelten Sinn für Schönheit, sie prägte die Mode des Hofes mit ihren Kreationen und zeigte Geschmack, förderte Tanz und Theater." Als sich der König immer mehr von ihr entfernt hat, langweilte sie sich, sie kam aus Versailles nicht heraus. „Endlich erlebt sie die Liebe, das Verhältnis mit dem schwedischen Diplomaten Axel Graf von Fersen, macht sie weich. Doch sie weiß, wo ihr Platz ist. Als vn Fersen ihr vorgeschlägt, vor der drohenden Revolution zu fliehen, weigert sie sich: ‚Mein Platz ist an der Seite des Königs‘, hat sie gesagt. Sie bewahrt auch ihre Würde, als sie auf dem offenen Wagen zum Gaudium des Volkes zum Schafott geführt wird. Sie ist Königin geblieben, auch wenn sie wie am Ende eine Hure behandelt worden ist.“ Mei Hong Lin kann die Frau aus ferner Vergangenheit wieder lebendig machen. Obwohl sie die Geschichte genau kennt, auch Marie Antoinettes Briefe und andere Dokumente gelesen hat, zeigt sie keine Biografie der jüngsten Tochter Maria Theresias: „Mehr als die historischen Fakten interessiert mich das Innenleben dieser Frau. Was hat sie heute mit mir und uns Frauen zu tun? Ich will ihre Ängste zeigen und ihre Träume und auch die schöne Zeit ihrer Liebe und den Rückzug in die Parallelwelt von petit Trianon. Wie geht es dieser Frau in der Fremde, vielleicht war sie Täterin, doch ganz sicher war sie auch Opfer."
Um dem Publikum Appetit auf das neue Stück zu machen, lädt Mei Hong es zu einer offenen Probe auf der Bühne ein. Die Versatzstücke sind noch roh und werden von den Tänzer*innen selbst verschoben, das Volk ist durch Verkühlung ein wenig reduziert, was nicht so tragisch ist, denn der Platz zum Tanzen ist durch die dicht besetzten Zuschauerreihen ebenfalls verkleinert. Mei Hong will nicht viel erklären, nur zeigen, doch sie tut es dann doch. Wem das Herz voll ist …
Dem treuen und immer begeisterten Tanzpublikum werden von Mei Hong nicht nur Premieren und Repertoirevorstellungen samt den abendlichen Einführungen geboten, sondern auch offene Proben im Ballettsaal und sogenannte „Kostproben“ vom nahezu fertigen Stück auf der großen Bühne. Nach manchen Vorstellungen wird in der Musiktheaterwerkstatt ein „Nachgespräch“ geführt. Und wer sich berufen fühlt, darf auch an einem offenen Tanztraining mit Staša Zurovac, dem Ballettmeister der Compagnie, teilnehmen und die Kunst des Tanztheaters beschnuppern.
Mei Hong Lins Erfolg strahlt längst über Linz hinaus, Tourneen führen ins Ausland und, was eine Premiere ist, auch nach Wien. Mit der Rekonstruktion von Johann Kresniks beeindruckendem choreografischen Theater „Macbeth“ (nach Shakespeare, Bühnenbild von Gottfried Helnwein, Musik von Kurt Schwertsik) ist tanzlin.z am 11. Juli zur Eröffnung des ImPulsTanz Festivals zu sehen.
„Marie Antoinette“ Tanzstück von Mei Hong Lin, Musik von Walter Haupt. Uraufführung 30. März 2019, Musiktheater Linz.
Besuch einer öffentlichen Probe von tanzlin.z im Ballettsaal am 3. März 2019.