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Ballettpremiere: „Coppélia“. Volksoper

Am Sonntag, 27. Jänner 2019, feiert das Wiener Staatsballett in der Volksoper Premiere. „Coppélia“, die Geschichte vom „Mädchen mit den Emaille-Augen“ (französischer Titel, „La fille aux yeux d’émail“) in das sich Franz verliebt, ohne zu realisieren, dass er eine Puppe anbetet, steht auf dem Programm. Masayu Kimoto tanzt Franz, Natascha Mair seine Braut Swanilda, die ihn durch List von seinem Irrweg in ihre Arme zurückführt.

„Coppélia“ gehört in die Abteilung „romantisches Ballett“, daher ist es nicht verwunderlich, dass der französische Tänzer und Spezialist für die Rekonstruktion und Choreografie romantischer Ballette, Pierre Lacotte, unter Verwendung der Originalchoreografie von Arthur Saint-Léon eine eigene Choreografie von „Coppélia“ geschaffen hat. 1973, mehr als 100 Jahre nach der Uraufführung im Mai 1870, war die Premiere an der Pariser Oper. „Coppélia“ ist, genau genommen, seit bald 150 Jahren fester Bestandteil des Repertoires der Ballettcompagnie an der Pariser Oper. Jetzt werden die springlebendige Swanilda und die Puppe Coppélia auch Wien erobern.

Masayu Kimoto tanzt Franz, der sich in eine Puppe verschaut. © Wiener Staatsballett / Ashley TaylorIn Wien war man offenbar anfangs von dem französischen „Ballet d’Action“ nicht so begeistert. „Coppélia“ taucht zwar nach der einmaligen Aufführung 1876 am k. u. k. Hofoperntheater immer wieder auf der Bühne auf, doch so richtig im Repertoire etablieren konnte sich das Ballet comique nicht. Erst unmittelbar nach dem Krieg eroberte „Coppélia“ auch Wien. 33 Mal ist die Choreografie nach Nuitter und Saint-Léon nach der Premiere am 31. Oktober 1945 an der Staatsoper im Theater an der Wien getanzt worden.
Erika Hanka hat die Choreografie bearbeitet und inszeniert; Julia Drapal tanzte Swanilda (belegt sind die Rollen erst nach der 2. Vorstellung), Edeltraut Brexner war die Puppe; die männlichen Hauptrollen, Franz und Coppelius, waren Carl Raimund jun. und Toni Birkmeyer anvertraut. Auch die sieben Aufführungen 1966 in der Bearbeitung von Aurel von Milloss müssen wie die Serie von 1945 gekürzt gewesen sein, weil sie den Abend mit einem anderen Ballett geteilt haben.  Kostümentwurf 1870 für einen Csárdás-Tänzer (letzter Akt "Coppélia"). © free license Zuletzt hat sich Wien mit einer wenig bemerkenswerten Version des ungarischen Tänzers Gyula Harangozó sen. zufriedengeben müssen, die sein Sohn, Harangozó jun., Ballettdirektor unter Ioan Holender, auf die Bühne gesetzt hat. Jetzt hat Ballettdirektor Manuel Legris seinem verständlichen Faible für das französische Ballett nachgegeben und für die auch an der Pariser Oper etablierte Choreografie von Lacotte von Ballettmeisterin Anne Salmon, ehemals Erste Solotänzerin im Nancy National Ballet unter der Direktion von Pierre Lacotte, für eine werkgetreue Einstudierung geholt. Salmon ist für die Einstudierung von Lacottes Choreografien von Moskau bis Shanghai begehrt.

Edgar Degas:"Mlle Fiocre dans le ballet la Source ",1868 Brooklyn Museum New York City. Eugénie Fiocre tanzte bei der Uraufführung die Rolle des Franz en travestie. Die Ballettmusik zu "La source" ist ebenfalls von Léo Delibes, © free licenseGeadelt wird die im Ballett recht einfache, verständliche Geschichte durch die Musik von Léo Delibes. Anders als bei seiner Komposition zum Ballett „Sylvia“ (im Jänner 2019 noch vier Mal, teilweise in der bejubelten Premierenbesetzung an der Wiener Staatsoper zu sehen), wo er synchron mit dem Librettisten und Choreografen Louis Mérante komponieren musste, war für „Coppélia“ das Libretto von Saint-Léon und Charles Nuitter bereits fertiggestellt, als Delibes aufgefordert worden ist, sich die passende Musik, ein wenig unheimlich, ein wenig mechanisch, sehr fröhlich, einfallen zu lassen. Schon bei der Ouvertüre wird das geneigte Publikum seine Aha-Erlebnisse haben, hat doch Delibes mit Leitmotiven gearbeitet, die durch die Suite, die Delibes aus der Ballettmusik extrahiert hat, bekannt sind.

Die Handlung beruht auf dem recht komplizierten, weitverzweigten und unheimlichen Kunstmärchen von E. T. A. Hoffmann „Der Sandmann“, das 1816 zum ersten Mal veröffentlicht worden ist. Choreograf Pierre Lacotte im Ballettsaal.  ©  DR / free license Hoffmann hat peu à peu einen ganzen Zyklus an Geschichten der „Schwarzen Romantik“ (Schauerroman) veröffentlicht. Die unheimliche Person ist bei Hoffmann Coppelius, der dem Protagonisten Nathaniel in verschiedenen Gestalten erscheint. Nathaniel studiert bei einem Professor Spalanzani, der sich mit künstlichen Lebewesen befasst und eine Puppe als seine Tochter Olimpia ausgibt. Opernfreunden wird bald die Verbindung zur Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach klar sein. Die beiden Librettisten haben aber Hoffmanns Erzählung vom „Sandmann“ komprimiert, die Rahmenhandlung entfernt und das Personal verringert. So sehen wir den alten Dr. Coppelius, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, einen künstlichen Menschen zu schaffen. Auch 200 Jahre danach ist das noch niemandem gelungen. Mechanisches Spielzeug hat allerdings eine lange Tradition, an die hält sich auch Coppelius und setzt eine mittels Uhrwerks zu bewegende Puppe auf seinen Balkon, die vom gesamten Dorf für ein junges Mädchen gehalten wird. Franz vergisst seine Verlobte Swanilda und will dieses zauberhafte Geschöpf erobern.

Giuseppina Bozzacchi, die erste Swanilda. Die italienische Ballerina erkrankte nach der 18. Vorstellung im Juli 1870 an den Röteln, die in Paris grassierten und verstarb an ihrem 17. Geburtstag am 23. November 1870,  © free licenseDer Ausgang dieser heiteren, keineswegs unheimlichen, Geschichte ist leicht zu erraten. Wär‘s ein Roman, würde man ihn „O-beinig“ nennen: Zusammen – auseinander – wieder vereint. Für ein Ballett ist das wohl keine passende Bezeichnung. Wie auch immer, im Galopp geht es zur finalen Hochzeit. Der 87jährige Choreograf Lacotte ist sicher eingeladen, sein Werk endlich auch in Wien zu sehen. die ersten beiden Akte sind Rekontruktionen der Choreografie von Saint Léon in der Ausstattung des Pariser Originals von 1973. Der letzte Akt hat sich Pierre Lacotte ausgedacht, eine zauberhafte Hommage an den Tanz, mit Gruppentänzen, Pas de deux und Solos der Damen und Herren.

Aperçus: Bei der Uraufführung in Paris wurde die Rolle des Franz von Eugénie Fiocre en travestie getanzt. In der Blüte des romantischen Balletts, etwa ab 1840 bis zu den Tagen der Pariser Kommune ab 1870, war die „danseuse en travestie“ in Frankreich hoch in Mode.

Pierre Lacotte: „Coppélia“, Libretto: Charles Nuitter, Musik von Léo Delibes, Dirigent: Simon Hewett. Realisierung des Bühnenbildes: Jean-Luc Simonini, Realisierung der Kostüme: Michel Ronvaux; Licht: Jacques Giovanangeli; Einstudierung: Anne Salmon. Premiere mit Natascha Mair, Masayu Kimoto, Alexis Forabosco, 27. Jänner 2019, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Bis 14. März geben noch 7 Vorstellungen in wechselnder Besetzung Gelegenheit, das unerhaltsame Ballett zu genießen.