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Mit dem Körper über das Alter(n) denken

Schrift gewordene Gedanken in der Generations-Season.

Der Betrieb, eine Idee von Anna Maria Nowak und Alexander Gottfarb, ist ein künstlerischer Raum oder auch Kunst selbst. Seit Oktober 2022 ist die Idee von Der Betrieb auch ein konkreter Raum. Zweimal im Jahr wird in einer thematisch fokussierten Season permanent getanzt und gedacht. Derzeit läuft die 5. Season der Dauertanz-Performance: The Generations Season ist den Vorstellungen von Veränderung und Alter(ung) gewidmet.

Anna Maria Nowak, Esther Balfe: Nachdenken über den Lauf des Lebens.Der Betrieb, auf dem Vogelweidplatz hinter den blau gestrichenen Rahmen der großen Fenster, ist kein Geschäft, kein Büro, kein Schönheitssalon und auch kein Café (auch wenn mitunter einer serviert wird). „Es ist kein Projekt, was sich hier abspielt, es ist auch kein Workshop und keine Aufführung, die, wie im freien Tanz üblich, an drei Abenden stattfindet.“ Auch die Tänzerin Anna Maria Nowak tut sich zunächst leichter zu erklären, was Der Betrieb nicht ist. Die Soundkünstlerin und Sängerin Zosia Holubowska gibt den Ton an. Es ist nicht nur ein realer Raum, in dem getanzt, gedacht, geforscht und geteilt wird. Das Konzept steht für das Miteinander der Tänzerinnen, die Gleichzeitigkeit der Körper, die Begegnung mit dem Publikum, den Austausch von Ideen. Und Der Betrieb rückt Respekt vor den anderen, körperliche und geistige Reflexion sowie das Suchen nach neuen Möglichkeiten in den Vordergrund. Klingt alles ziemlich abstrakt, ist jedoch ganz konkret: manchmal ernst, dann wieder witzig, oft rätselhaft und gleich danach klar und deutlich. Am besten zu verstehen ist Der Betrieb, indem er selbst erlebt wird, was in der „Season“ (ebenso mit Saison wie mit Staffel zu übersetzen) am Vogelweidplatz passiert.Alexander Gottfarb, quasi aus der Elterngenration, denkt im Liegen.
„Wir wollten eine Alternative zu den üblichen kommerziellen Theaterräumen mit der vierten Wand und geschlossenen Türen bis zum Applaus. Wie sähe eine Stadt aus, in der es Räume gibt, wo Neues geschieht, anderes als der Austausch von Waren und Geld.  Wir suchen nach Möglichkeiten des Zusammenseins, des Teilens von Ideen und Gedanken. “, erläutert Nowak. Valeria Chavez Chong tanzt am Anfang der Zeitreise.Einfach gesagt: „Der Betrieb ist eine neue Art von Kunstschaffen.“ Von Oktober bis November / von Februar bis März ist die Türe von Der Betrieb geöffnet und das choreografische Perpetuum Mobile im Dauereinsatz. Es wird getanzt, gedacht, deklamiert, gesungen, vielleicht auch diskutiert. In der vergangenen Staffel, der Ritual Season, wurde sogar gemalt. Die bildende Künstlerin Hanna Hollmann ist in die Musik eingetaucht, hat ihr eigenes Ritual mit den Tanzkörpern vereint und die Wände verändert. Der Eintritt ist frei, Tickets gibt es keine, das Publikum ist jederzeit willkommen, darf kommen und gehen, wie es ihm gefällt. „Manche schauen nur im Vorbeigehen durch die Fenster, andere sitzen ein paar Minuten oder mehrere Stunden, Kunststudentinnen kommen mit dem Zeichenblock und bleiben oft bis zum Abend.“ Anna Maria Nowak in der "Ritual-Season", Frühjahr 2024.Nowak erzählt auch, dass die Anforderungen an die Künstlerinnen andere sind als auf der Bühne: „Wir müssen mit Ablenkungen zurechtkommen und auch mit der gemeinsamen Bewegung. Wir wollen uns simultan bewegen, aufeinander eingehen. Es gibt zwar eine Linie und auch Musik, aber keine fixe Choreografie, wir improvisieren als Individuen, bewegen uns aber gemeinsam, als Trio oder Duo.“ Stéphanie Evrard, eindeutig Vertreterin der jungen Generation. Erst kürzlich hat sie ihr Studium an der Muk abgschlossen. Der Betrieb ist die jüngste Insel im von Nowak und Gottfarb 2008 gegründeten Verein Archipelago, der Kunstprojekte mit dem Fokus auf unterschiedliche Formen der Bewegung und des Tanzes unterstützt und produziert. Der Körper und seine Ausdruckskraft stehen im Mittelpunkt, Wert gelegt wird auch auf eine flexible Struktur, gemeinsames Arbeiten und die Verbindung zur Gegenwart. Darüber sind sich Alex Gottfarb und Anna Maria Nowak einig. Beide sind keine in den Wolken schwebenden Kunstschaffenden, die mit Scheuklappen um sich selbst kreisen, sondern geerdete Menschen im Hier und Heute, die sich um die Welt, in der sie leben, kümmern. So waren sie mit „Your Season“, der Staffel im Herbst ’23 „auf der Suche nach einer gemeinsamen Saison, einer gemeinsamen Sphäre, nicht öffentlich und nicht privat.“ Anna Maria Nowak Im Portrait. © Kathi GöttfriedGerne erinnert sich Anna an die Tage: „Es hat funktioniert, viele haben mitgemacht, sich mit uns bewegt, die Kinder haben sich eingemischt und wir haben interessante und kluge Gespräche geführt.“ Der Raum ist nicht sehr groß, es gibt keine Rampe und keine Bühne, Auditorium und Tanzraum gehen ineinander über, die Gemeinsamkeit, vielleicht auch Gemeinschaft, entsteht automatisch. Nowak und Gottfarb wechseln sich in der Leitung der einzelnen Staffeln ab. Die Herbstsaison ’24 wird von Anna Maria Nowak betreut. Sie hat das Konzept erstellt, die Tänzerinnen ausgewählt und zusätzlich ihren neunjährigen Sohn betreut. „Ich bin da nicht allein, Alex und ich teilen uns die privaten Aufgaben wirklich 50: 50.Esther Balfe mit einem Gast aus dem Publikum.  Und auch unsere Eltern kommen immer wieder.“ Ihre aus Polen, wo sie 1980 geboren worden ist; seine aus Schweden, Gottfarbs Heimatland. Nach Österreich ist Anna Maria gekommen, weil es um 2000 in Polen so gut wie keine Ausbildungsmöglichkeit für zeitgenössischen Tanz gegeben hat. An der Bruckner-Privatuniversität hat sie ihren Magister der Dance Arts gemacht. Davor hat sie an der Universität Danzig Linguistik und Skandinavistik inskribiert. Die Synergie von Körper und Geist ist in Der Betrieb erhalten geblieben. Als Tänzerin ist der Körper ihr Werkzeug und Medium; als Choreografin, künstlerische Direktorin, Projektleiterin, Ideenentwicklerin, Planerin werden die Gehirnströme eingeschaltet „Denkt das Gehirn anders als der Körper?“, eine von vielen Fragen, die Anna Maria Nowak sich, dem Team und auch dem Publikum stellt. In der aktuellen Staffel, der Generations Season, dreht sich der Dauertanz um die Veränderungen im Lauf des Lebens und dem Alter(n) auseinander. Anfang und Ende der Zeitlinie. (Valeria Chavez Chong, Frans Poelstra)Die Tänzerinnen repräsentieren alle Generationen. Die Jüngsten haben gerade die MUK absolviert, Alexander Gottfarb und Anna Maria Nowak verkörpern die Elterngeneration, die Tänzerin, Choreografin und Professorin an der MUK tanzt als junge Großmutter, und Frans Poelstra, geboren 1954 in Amsterdam, fügt sich als Ältester in das Perpetuum Mobile der Körper. Das Publikum hat die Möglichkeit, das Gespräch über das Alter(n) und die damit verbundenen Gefühle und Erfahrungen zu lenken, indem es aus vorhandenen Vorschlägen ein Thema auswählt oder eigene Gedanken einbringt. „Wir machen tanzend immer wieder neue Erfahrungen, lernen miteinander umzugehen. Sich auf einen anderen Körper einzustellen, sich gemeinsam, synchron zu bewegen, ohne die Individualität aufzugeben, ist nicht einfach.“ Anna Maria Nowak beendet mit einem Blick auf die Uhr das Gespräch in Dem und über Den Betrieb. Sohn Leon muss abgeholt werden.

Der Betrieb: „The Generations Season“, ein Perpetuum Mobile der Körper, verkörperte Reflexion.
Konzept und künstlerische Leitung: Anna Maria Nowak
Performance und Choreografie: Alexander Gottfarb, Stéphanie Evrard, Valeria Chavez Chong, Frans Poelstra, Esther Balfe, Anna Maria Nowak Hier geht es gleich in „Den Betrieb“ am Vogelweidplatz 13. Musikkomposition und Live-Performance: Zosia Holubowska
Dramaturgie: Anna Mendelssohn; Kostüm: Karin Pauer; Grafikdesign: Katarina Schildgen; Video und Prototyping: Jakob Hütter (hand mit auge) 
Fotos: Victoria Nazarova
Die erste Hälfte von Der Betriebe / Generations Season endet am 26.10.2024. Nach den Herbstferien startet die Season  am 6. 11. Bis 16. 11. 2024 wird mittwochs bis samstags von 14 bis 19 Uhr getanzt und gedacht. Publikum ist jederzeit willkommen: Vogelweidplatz 13, hinter der Stadthalle in Wien 1150.