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Auf der Suche nach der richtigen Bewegung
Ein Tanzfilm der Sonderklasse. Caspar Pfaundler zeigt weder Dornröschen noch Schwanensee und auch nicht eine fertige Choreografie von William Forsythe oder Hans van Manen, er zeigt in seinem Kinofilm Just Be There überhaupt kein fertiges Ballett. Er hat seine Kamera im Probensaal aufgestellt und beobachtet das Entstehen eines Tanzstücks. Just Be There ist bis 17. Dezember im Wiener Metro-Kino zu sehen.
An einem Ballett, einem Tanzstück sind im Grunde zwei Gegner beteiligt. Auf der einen Seite die Tänzer:innen, die mit ihrem Körper ausführen sollen, was im Kopf der Choreografin, des Choreografen auf der anderen Seite vorgeht. Einfach ist das selten. Schließlich haben auch die Tänzer:innen einen Kopf, einen anderen als die Schöpfer:innen eines Balletts, und diese haben einen Körper, der anders reagiert, als der der Tanzenden. Wie hierarchisch diese Beziehung zwischen den Beteiligten an einer Choreografie ist, zeigt sich im Ballettsaal der Wiener Staatsoper, wo Caspar Pfaundler die Entstehung der Choreografie Ochiba (Fallende Blätter) von Patrick de Bana verfolgt. Den Pas de deux haben der damalige Ballettdirektor Manuel Legris und die Erste Solotänzerin Nina Poláková einstudiert und bei der von Legris alljährlich zum Saisonabschluss angesetzten Nurejew-Gala 2019 gezeigt. Poláková hat ein Jahr später das Wiener Staatsballett verlassen, um in Bratislava das Ballett am slowakischen Nationaltheater zu leiten.
Zugleich zeigt der Film, mit sensiblen, sanften Schnitten, die Arbeit von Cheng Tsung-Iung mit seiner Company, dem Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan, einer auch in Europa hochgeschätzten Tanz Company, die 1973 gegründet worden ist. Auch in Wien oder Sankt Pölten hat die 50-jährige Company bereits Erfolge gefeiertt.
In Wien ist ein intensiver und durch die Tatsache, dass der Chef einer großen Compagnie plötzlich zum Schüler wird, auch schwieriger, überaus persönlicher Prozess zu sehen. Nicht immer, oder eher kaum jemals, sind der Choreograf und der Tänzer einer Meinung. Ein Direktor darf zurückreden, eine Tänzerin, ein Tänzer tut dies nur selten. Doch Legris, einst Étoile der Ballettcompagnie der Pariser Oper, zeigt das Dilemma jeder Tänzerin, jedes Tänzers deutlich: Er will jede Bewegung genau erklärt haben, will sie richtig ausführen, doch willenlose Puppe ist er keine. Ochiba, zur Musik von Philip Glass, ist ein zu Herzen gehendes Stück, auch wenn es von einem Abschied ohne Tränen erzählt. In diesem Pas de deux, in dem der Mann und die Frau einander kaum berühren, geht es um mehr als um die Haltung und Position von Armen und Beinen, Gefühle werden spürbar, auch schon bei den Proben.
Nichts anderes passiert in der großen Gruppe in Taipeh, wo Ausschnitte mehrere Stücke geprobt werden und Choreograf Cheng Tsung-Iung immer wieder Einzelne aus dm Corps herausholt, um mit ihnen bestimmte Passagen genau durchzuarbeiten. Nicht immer will der Körper (der Tänzer), was der Kopf (des Choreografen) erdacht hat.
Diese intimen Blicke, die uns der feinfühlige Regisseur völlig unkommentiert gewährt, sind in ihrer Seltenheit richtig kostbar. Auch das tanzaffine Publikum bekommt selten Gelegenheit, Tänzer:innen bei der Arbeit zuzusehen. Öffentliche Proben zeigen nicht den wahren Prozess, Ballettmeister:innen, Choreograf:innen, Tänzer:innen schalten, sobald Zuschauer:innen präsent sind, auf Show um. Kamera und ihr Meister waren stumm, dezent, nahezu unsichtbar, die Beobachteten haben die Beobachterin schnell vergessen. Den Filmtitel hat Pfaundler von de Bana geliehen. Auf des Tänzers bohrende Fragen hat der Choreograf eine einfache Antwort: „Sei einfach da!“ Ein Satz, der ein ganzes Universum umfasst. Ein Tänzer, eine Tänzerin, tanzt nicht nur eine Rolle, befolgt nicht nur angesagte Bewegungen, sondern tanzt immer auch sich selbst. Durch die Pandemie war Caspar Pfaundler besonders lange mit der Filmarbeit beschäftigt und hat daneben seine Gedanken und Gefühle, all die Schwierigkeiten und Probleme mit dem Pinsel auf Papier festgehalten. Here I am nennt er die Ausstellung, die den Film im Metro Kinokulturhaus begleitet.
Der erste und letzte Kader von Just Be There ist ein gemaltes Bild. Wenn man nach der Vorführung in die Ausstellung Here I am kommt, sieht man diese Bilder und der Film selbst ist zwar zu Ende, aber etwas aus dem Film hat sich in die sogenannte Wirklichkeit hinübergerettet und setzt sich in den Malereien fort: Auch hier geht es um Prozesse, die vielleicht in der Entwicklung der Bilder, in der Wandlung der Figuren und Räume, sichtbar werden können. (Caspar Pfaundler)
Der Filmemacher hat seinen Film jenen jungen Tänzerinnen gewidmet, deren Vertrag nach dem Wechsel in der Ballettdirektion im Sommer 2020 vom neuen Direktor, Martin Schläpfer, überraschend nicht verlängert worden ist. Die vielen Tränen hat sich Caspar Pfaundler zu Herzen genommen.
Caspar Pfaundler: Just Be There, ein Tanzfilm der besonderen Art. Uraufführung: Diagonale 2022. Premiere in Wien: 1. Dezember 2023, Metro Kinokulturhaus.
Konzept, Regie, Kamera, Ton, Schnitt und Malerei: Caspar Pfaundler
Wiener Staatsballett in der Staatsoper
Tanz: Nina Poláková, Manuel Legris. Choreografie: Patrick de Bana. Probenleitung und Ballettmeisterin: Chantal Lefèvre. Klavier: Takizawa Shino. Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan
Choreograf und künstlerischer Direktor: Cheng Tsung-Iung. Geprobt haben 12 Tänzer:innen der Company Choreografien von Cheng Tsung-Lung.
Caspar Pfaundler: Here I am
Ausstellung mit Malereien aus dem Film und was sich daraus entwickelt hat …
Metro Kinokulturhaus, Ebene 1, geöffnet kurz vor und eine halbe Stunde nach dem Film. Bis 17.12.2023, mit Finissage.
Filmstills © Caspar Pfaundler