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Premiere mit dem Corps de ballet der Volksoper
Eigens für die formidablen Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts in der Volksoper ist der dreiteilige Abend mit Werken von Karole Armitage, Paul Taylor und Martin Schläpfer konzipiert. Der Titel, The Moon Wears a White Shirt, ist eine Zeile aus einem Gedicht des Ungarn Sándor Weöres, das György Ligeti vertont hat. Die Zeile dient als Titel für den Abend, dessen Mittelteil Karole Armitages Choreografie Ligeti Essays bildet. Von Alfred Schnittke stammt die Musik für Schläpfers Choreografie Drittes Klavierkonzert; Paul Taylor lässt in Dandelion Wine (Löwenzahn-Wein) zu einem Concerto für Violine und Orchester von Pietro Locatelli tanzen. Die Premiere des Abends wird am 12. November gefeiert.
Mit Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen für Mezzosopran und vier Schlagzeuge, Drei Lieder für Singstimme und Klavier nach Sándor Weöres für Mezzosopran und Klavier sowie Vier Hochzeitstänze für drei Singstimmen und Klavier – Kompositionen von György Ligeti, die Karole Armitage als Begleitmusik für ihre Choreografie Ligeti Essays gewählt hat. Weöres ((1913–1989) hat ungarisch gesprochen und geschrieben, die herausgehobene Zeile könnte so aussehen: A Hold fehér inget visel. Doch ohne den Kontext zu kennen, sagt sie nichts aus, man könnte meinen, sie stamme aus einem Kinderbuch. Die österreichische Schriftstellerin Barbara Frischmuth und der Schweizer Journalist und Übersetzer Robert Stauffer haben unter dem Titel Der von Ungern einige Gedichte von Sándor Weöres übersetzt (Bibliothek Suhrkamp, Band: 1063). Ob das vom Mond im Hemd dabei ist, kann ich nicht feststellen.
Die amerikanische Tänzerin und Choreografin Karole Armitage, geboren 1954, war Mitglied der Merce Cunningham Dance Company und hat ihr eigenes Ensemble, Armitage Gone! Dance, das vor allem in New York City auftritt. In den 1980er Jahren war sie als „Punkballerina“ bekannt und liebt es auch heute noch, Grenzen zu überschreiten und Tanz, Musik und Philosophie miteinander zu verschmelzen.
An die Spitze des Abends hat Martin Schläpfer seine eigene, 23 Jahre alte Choreografie Drittes Klavierkonzert gesetzt. Die Choreografie zur Musik von Alfred Schnittke hat Schläpfer 2000 mit dem Mainzer Ballettensemble uraufgeführt. Der deutsch-russische Komponist Alfred Schnittke ist 1934 in Engels, Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen, Sowjetunion geboren und 1998 in Hamburg gestorben, begraben ist er in Russland. Schnittke, fraglos einer der bedeutendsten Komponisten des späten 20. Jahrhunderts, hat nach dem 2. Weltkrieg mit seinen Eltern kurze Zeit in Wien gelebt und hier Klavier studiert. 1949 ist die Familie in die Sowjetunion zurückgekehrt. Alfred widmete sich vor allem seiner Kompositionstätigkeit. 1990 übersiedelte er mit seiner Familie nach Hamburg, wo er nach mehreren Schlaganfällen im Alter von 63 Jahren gestorben ist. Das von Martin Schläpfer benutzte Konzert für Klavier und Streichorchester hat Schnittke 1979 in der Sowjetunion komponiert. Mit Schnittkes 1. Sinfonie (1972–74) hat John Neumeier 1983 sein Ballett Endstation Sehnsucht geschaffen. 1989 hat Alfred Schnittke für Neumeiers Ballett Peer Gynt die Musik komponiert. Auch dem Kinopublikum sind Alfred Schnittkes Kompositionen vertraut, ohne dass sich die Mehrheit der Kinoenthusiast:innen dessen bewusst ist. Schnittke hat für etwa 70 Filme die Musik geschrieben. Der Meister und Margarita oder Rikki-Tikki-Tavi mögen als Beispiel dienen. In Schläpfers Choreografie Drittes Klavierkonzert wird die junge rumänische Pianistin Alina Bercu am Flügel sitzen, Christoph Altstaedt dirigiert die Streicher. Es tanzt, wie auch in den beiden anderen Balletten, das Volksopernensemble des Wiener Staatsballetts.
Das Ende des Abends sollte das Publikum beschwingt, vielleicht sogar ein wenig beschwipst entlassen. Wein aus Löwenzahn, Dandelion Wine, wird in Paul Taylors Ballett ausgeschenkt. Angetrieben werden die Tänzer:innen vom Orchester der Volksoper unter Christoph Altstaedt und den vibrierenden Rhythmen des barocken Violinkonzerts von Pietro Locatelli (1695–1764). Taylor hat diese frühlingsfrische Choreografie 2000 für seine Company geschaffen. New York war begeistert: „Ein sofortiger Gewinner, eine fröhliche Ode an den Frühling des Lebens ... eines seiner schillerndsten Werke", beschreibt Anna Kisselgoff in The New York Times das vom gelb kostümierten Zeremonienmeister geleitete Ballett. Richard Chen See, einst Tänzer in Paul Taylors Dance Company und licensing director, ist wieder nach Wien gekommen, um dieses bestrickende Tanzstück für acht Tänzer:innen in der Volksoper einzustudieren. Altstaedt leitet wieder das Volksopernorchester und spielt gleichzeitig das Hammerklavier; Bettina Gradinger streicht die Solovioline, der bereits dreimal für einen Oscar nominierte Designer Santo Loquasto, inzwischen fast 80, hat das Ensemble mit lockeren Kostümen in zarten Frühlingsfarben bekleidet. Wenn es allerorten blüht und grünt (oder gelbt), dann verschlingen sich nicht nur Arme, und so mancher Jüngling weiß nicht mehr, wo vorn und hinten ist. Die Irrungen und Wirrungen kann womöglich nur ein Schluck vom Löwenzahn-Wein wieder in Ordnung bringen. Prost.
The Moon Wears a White Shirt, dreiteiliger Ballettabend mit den 24 Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts in der Volksoper. Werke von Karole Armitage, Martin Schläpfer, Paul Taylor. Premiere: 12. November 2023.
Weitere Vorstellungen: 17., 22. November 2023; 4. 9. 12. Jänner 2024; 1., 4., 8. Juni 2024.
Probenfotos von Ashley Taylor / © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor
Ceterum censeo. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Wiener Staatsballett eine eigene Website bekommen sollte.