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Wow! Das Ballettstudium ist eine Glücksmaschine.
Regisseurin Jennifer Rezny und ihr Team begleiteten die Elev:innen der Ballettakademie der Wiener Staatsoper und lässt diese auch zu Wort kommen. Sie sagen, was erwartet wird. Tanz des Lebens, wird mitunter auch FEUER & FLAMME genannt, ein Titel, den eigentlich eine aus bereits sieben Staffeln bestehenden WDR-Serie über die Feuerwehr gepachtet hat. Reznys Dokumentation bietet einen kursorischen Jahresablauf in der Schule mit kurzen privaten Einsprengseln und ist von 3sat am 11.11. nach dem Hauptabendprogramm ausgestrahlt worden. In der Mediathek sind die 50 Minuten bis 11.12. zu besichtigen.
Freude macht dieser Film keine. Das Jahr in der Ballettakademie scheint für die Winzlinge in der ersten Klasse und die Herangewachsenen in der letzten ein Supermarkt des Glücks zu sein. Bruchlos ohne Tränen und Schmerzen perlt es dahin. Die jungen Mädchen sagen altkluge Sätze, die wie Kopien klingen, die nahezu erwachsenen Burschen sitzen im Arenbergkpark und kichern verschämt, wenn sie nach dem Mathematikunterricht im Gymnasium gefragt werden. Wie viele anderen Kinder auf der ganzen Welt, ist die Schule nicht ihr Leben, aber sie wissen, was sie zu sagen haben: „Das muss auch sein.“
„Wow!“, sagt die Lehrerin, wenn die Kleine erzählt, dass sie schon mit drei Jahren Balletttänzerin werden wollte. Die Legende ist nicht unbekannt. Damit nicht nur getanzt wird, gibt es auch Einblicke ins Pausen- und Ferienleben. Die Eine sitzt mit den Eltern im trauten Heim und surft fröhlich mit dem Vater auf der Straße. Die anderen futtern in gutgelaunter Runde. Die Kamera scheut sich auch nicht vor intimen Situationen und verfolgt eine junge Schülerin in die Kirche, beobachtet sie beim Rosenkranzbeten. Peinlich!
Keine Überraschungen, keine Stolpersteine und keine Fakten. Ausrede: Ein Film aus der Perspektive der Elevinnen und Eleven. Der Skandal um die 1771 von Maria Theresia eingerichtete „Theatrale-Tanzschule" von 2019, als die Direktorin abgesetzt worden ist und die Medien empört über das unpädagogische Verhalten mancher Lehrer:innen, Rücksichtslosigkeit , Kränkungen, unangebrachte Strenge ud sogar von Missbrauch von Autorität berichtet haben, ist offenbar vom Coronavirus aufgefressen worden. Aus und vergessen!. Beschwerden gibt es keine in der Perspektive der Schüler:innen. Denn diese Dokumentation, über die sich der künstlerische Leiter der Ballettakademie, Martin Schläpfer, der zugleich Direktor des Wiener Staatsballetts ist, und die Direktorin der Akademie, Christiana Stefanou vor Glückseligkeit überkugeln, ist nichts anderes als eine Reihe von aneinandergefügten Szenenfolgen, ohne dramaturgische Ideen und intelligente Übergänge. Fakten gibt es keine. Schläpfer hält den Film für „ein kleines Wunder, klug und zur richtigen Zeit gekommen“, für Stefanou „war das Filmteam am Ende ein Teil unserer ‚Familie’. Seine Anwesenheit war so unaufdringlich und feinfühlig, dass wir vor den laufenden Kameras ganz wir selbst sein konnten und somit ein authentisches Bild entstanden ist.“
Dieses authentische Bild habe ich nicht gesehen. Eher wurde ein verklärtes Leidenschaftsgedusel mit Rosenkranz gezeigt. Authentisch? Ein (noch) nicht Deutsch sprechender doch keineswegs kamerascheuer Eleve wird synchronisiert anstatt untertitelt. Im Laufe des Films fällt auf, dass nur wenige Studierende etwas zu sagen haben oder sich trauen, zu sagen. Ein paar Superkluge aus der Unterstufe und wenige Größere dürfen oder wollen vor die Kamera. Die „Perspektive der Schülerinnen der Ballettakademie der Wiener Staatsoper“ verbietet es, über Schulgeld, Diätvorschriften, Wachstumsschmerzen und blutige Zehen zu sprechen. Ich will nicht Bess Kargmans Dokumentation von 2011 First Position – Ballett ist ihr Leben zum Vergleich heranziehen. Die preisgekrönte Filmemacherin hatte vermutlich ein anderes Budget zur Verfügung. Doch kann ich mich an eine Dokumentation über die Wiener Ballettakademie erinnern, die 2010 /11 entstanden ist. Da werden die Schattenseiten nicht verschwiegen und es war auch von Schweiß, Blut und Tränen die Rede Star dieses Films war damals die junge Tänzerin Prisca Zeisel, die bald nach Drehschluss von Ballettdirektor Manuel Legris in die Compagnie an der Staatsoper geholt worden ist, ohne die Schule abgeschlossen zu haben. Sie wechselte später zum Bayerischen Staatsballett, wo sie zuletzt Erste Solotänzerin war, bis sie im September die Compagnie auf eigenen Wunsch verlassen hat. Noch ein Sidestep: Unter der Direktion von Manuel Legris hat Francesca Bernabini /Danzaeffebi 2019 einen dreitägigen Auffrischungskurs für Tanzlehrer:innen organisiert. Ort des Kurses war die Ballettakademie, wo die teilnehmenden Lehrer:innen den Unterricht in den Ballettklassen beobachten und diskutieren konnten, außerdem waren sie eingeladen, die Aufführungen von Coppelia in der Volksoper und Schwanensee in der Staatsoper besuchen. Auch eine Art, Werbung für die Ballettakademie zu machen.
Ein, wie es aussieht, lieblos zusammengestoppelter Reklamefilm trägt nicht zum Vergnügen der Fernseher:innen bei, und schon gar nicht zum Renommee der Ballettakademie der Wiener Staatsoper.. Mit Ausschnitten aus der Matinee vom April 2023 und dem tosenden Applaus der Eltern, Verwandten und Freund:innen wäre eine schöne Schlusseinstellung gelungen. Doch das etwas unübersichtliche Jahr war noch nicht zu Ende, die 50 vorgesehenen Minuten noch nicht voll. Also wird noch im Drüberstreuen gezeigt, dass bei der Jahresabschlussprüfung (Juni 2023) alle einen Einser erhalten hatten und sich, wie es von den Fußballern vorgemacht wird, anspringen und umarmen. Ginge auch noch als passendes Finale durchs. Die authentische Kamera hat noch immer nicht genug und lässt, Spitzentanz hin, Ballett her, Schüler:innen aller Altersstufen zu einem netten Popsong, fröhlich wie immer, umherhüpfen. Wie uninteressant, wie langweilig.
Schließlich wird den Zuseher:innen auch noch eine Moral mitgegeben. Eine kluge Schülerin trägt sie vor: „Man ist immer auf der Suche nach dieser Perfektion. Aber man wird sie nie erreichen.“
Tanz des Lebens. Schüler:innen der Ballettakademie der Wiener Staatsoper / 3sat/ORF/Feuer & Flamme, 55 Min.
Buch und Regie: Jennifer Rezny; Kamera: Stefan Vucsina, Rosanna Stark; Ton: Johannes D’Amico, Alexander Clement; Schnitt: Monica Parii.
Ausstrahlung von 3sat, 11.November 2023, 22.15 Uhr.
In der Mediathek) verfügbar bis 11.12.2023.
Fotos: © ORF / 3sat Mediathek
Ceterum censeo.Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Wiener Staatsballett eine eigene Website bekommen sollte.