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Alles bewegt sich fort und nichts bleibt

„Rhythmus & Rausch“: Distanzen zerfließen. © Zenofilm

Vom 24. März bis zum 9. April gibt es in Hall i. T. und Innsbruck keinen Stillstand. Zum 35. Mal findet das Osterfestival Tirol mit Tanz und Musik, Film und Performance statt. Die künstlerische Leiterin dieses fest im heimischen Kulturkalender verankerten feinen Festivals, Hannah Crepaz, hat diesmal das Motto „fließend“ gewählt. Das klingt, wie schon der Titel oben, nach Heraklit, wenn er es tatsächlich war, der die Weisheit hinterlassen hat: „Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“

„Rhythmus und Rauch“ mitten im Publikum. © ZenofilmIm Osterfestival ist zwar kein Missklang zu hören, aber Alte Musik wird mit Neuer verbunden, und an die müssen sich manche Ohren erst gewöhnen. Aber es können auch zeitgenössische Kompositionen miteinander verbunden werden, etwa wenn die viel gerühmte Perkussionistin Vanessa Porter aktuelle Werke mit Improvisation, Elektronik und darstellender Kunst verbindet. Perkussionistin Vanessa Porter. © https://vanessa-porter.de/„Klangräume“ heißt der spannende Abend im Salzlager in Hall am 29. März. Im Salzlager spielen auch die Musiker:innen von Phace und nützen die Weiten des großen durch Säulen gestützten Saales. Komponistinnen und Komponisten aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen haben Werke geliefert, die das Ensemble Phace ineinanderfließen lässt. Sarah Nemtsovs Komposition „Seven Colours“ eröffnet den Abend, der direkt in das unendliche Universum der Musik führt. Nemtsov schließt auch den Kreis. „Schwelle“ nennt sie ihre kompositorische Auseinandersetzung mit dem Choral „Komm o Tod, du Schlafes Bruder“ von J. S. Bach. Der eigens für das Festival geschaffene Abend, „Ins Innere“, findet am 31. März statt.CieLaroque: „Rhythmus und Rausch“: Wer will kann die Distanz aufheben und sich mit den Tänzerinnen R & R hingeben. © ZenofilmBevor ich mich jetzt ganz in der Alten und Neuen Musik verliere und den Fehler so mancher Medien begehe, dem Tanz keinen Platz zu gewähren, widme ich mich schnell den erstklassigen Tanzabenden im Osterfestival. Ob im Salzlager oder dem Innsbrucker Congress, Tanz spielt im Osterfestival Tirol eine wichtige Rolle. Heimische und Compagnien aus anderen Ländern zeigen, wie spannend und bewegend, wie poetisch, ästhetisch und auch informativ die Sprache des Körpers sein kann.  Elisabeth Schilling: „Hört Augen Bewegung" zur Musik von György Ligeti. © Bohumil Kostohryz
Eine der verlässlichsten Compagnien der heimischen Tanzszene, CieLaroque / Helene Weinzierl, wird im Salzlager am 24. März den Hauptteil des Festivals eröffnen. „Rhythmus & Rausch“ ist der vielversprechende Titel der Performance, die mit den Begriffen Nähe und Distanz spielt. Dazu ist auch das Publikum notwendig, es darf auf sich mit den Tänzer:innen oder hinter einer imaginäre Wand bleiben. Das übliche Setting, hier der Zuschauerraum, da die Bühne, ist aufgehoben, die beiden Bereiche fließen ineinander. Eine faszinierende Puzzlelandschaft entsteht, in der sich ein strukturiertes Chaos in einen energetischen Sog verwandelt. Wiederholung des Zitats aus Hellas: „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“Pianistin Cathy Krier spielt Etüden von György Ligeti, die Company Making Dance ist auf der großen Bühne im Congress. © Bohumil Kostohryz
Dass die Musik nicht nur ins Ohr geht, sondern den gesamten Körper erfasst und ihn in Bewegung versetzt, beweist die Choreografin Elisabeth Schilling, wenn sie mit sechs Tänzer:innen den 100. Geburtstag des Komponisten György Ligeti feiert. Ligeti wusste, dass Musik nicht nur die Ohren berührt, sondern alle Sinne. Für ihn waren auch beim Komponieren „taktile Konzepte fast so wichtig wie akustische.“ Noch bevor Schillings in Zusammenarbeit mit der Pianistin Cathy Krier entstandener „Tanz mit Ligeti“ beim Festival in Avignon präsentiert wird, bekommt das Publikum des Osterfestival Tirol  „Hear Eyes Move. Dances with Ligeti“, getanzt von der Compagnie Making Dances, am 1. April im Congress /Innsbruck zu sehen. „Monument 0.7" über Mütter und Töchter, getanzt von Eszter Salamon und Erzsébet Gyarma., © Alain Roux
Nach dem Ensemble-Tanz ein Duett: In ihrem Monument 0.7:M/OTHERS, entstanden knapp vor der Pandemie, tanzt die sensible Choreografin Eszter Salamon mit ihrer Mutter. „Menschliche Beziehungen sind Formen des Seins in der Welt“, beschreibt sie die Grundlagen ihrer Choreografien und des Tanzes. In den „Monumenten“ befasst sich Salamon häufig mit weiblicher Subjektivität, feministischen Genealogien und Mehrgenerationenbeziehungen. Das erste Gedenkmal, „MONUMENT 0 : Haunted by wars (1913-2013)“, ist 2014 entstanden und hat auch im Tanzquartier in Wien beeindruckt. In dem poetischen Duett mit ihrer Mutter, Erzsébet Gyarmati, wird Empathie, Fürsorge und Mitgefühl spürbar, Mutter und Tochter begegnen einander mit sinnlicher Aufmerksamkeit. 5. April, Salzlager / Hall. In "Soapéra, eine Installation" zerfließt das Bühnenbild. © Marc CoudraisDie renommierte französische Tänzerin und Choreografin Mathilde Monnier hat ein Aha-Erlebnis gehabt, als sie das Werk ihres Landsmannes, des bildenden Künstlers Dominique Figarella, entdeckt hat. 2009 hat sie mit dem Maler und Bildhauer das Tanzstück „Soapéra“ (klingt wie Seifenoper) kreiert. 2014 haben sich beiden wieder zusammengetan und  Tanz und bildende Kunst vertauscht. „Soapéra une installation“ ist entstanden. Über die plastische und performative Adaption, die dem Ausstellungsraum gewidmet ist und bei der Zuschauer im Mittelpunkt steht, sagt Monnier:Mathilde Monnier und Dominique Figarella stellen das Bühnenbild in den Mittelpunkt, doch dieses ist nicht fest, sondern (zer)fließend. © Marc Coudrais „Wir werden unsere jeweiligen Disziplinen miteinander vermischen, um einen Theaterraum zu schaffen, der sich aus der laufenden Malerei ergibt. Die choreografische Arbeit wird sich aus dem Kunstwerk ableiten und es sowohl verändern als auch formen. Das Thema ist die Praxis der Entstehung einer Aufführung.“ Die sinnlich-verspielte Performance mit drei Tänzern und der Tänzerin I-Fang Lin macht das Festivalmotto augenfällig, das Bühnenbild zerfließt und muss von neuem erstellt werden. 7. April.  Congress / Innsbruck.
Die Karwoche neigt sich dem Ende zu: Am Karsamstag, 8. April, führt das Ensemble Cantando Admont unter Cordula Bürger im Salzlager eine Totenmesse auf. Natürlich gerät auch dieses Werk des portugiesischen Komponisten Manuel Cardoso (1566–1650) Motto gerecht ins Fließen, wenn sich Auftragswerke zeitgenössischen Komponisten einmischen. „Set of Sets“, der Schwerkraft getrotzt. © Alfred Mauve Die Tage der Verinnerlichung und Besinnung sind damit beendet, Osterfreude steigt in den möglicherweise blauen Frühlingshimmel. Ausgedrückt wird sie natürlich durch Tanz. „Set of Sets“ nennen Guy Nader und Marie Campos (Compagnie GN|MC) ihr preisgekröntes Tanzereignis, in dem Körper aus jeglicher Zeit herausfliegen,  Fulminanter Festival-Abschluß mit  „Set of Sets“ von GN|MC. © AlfredMauveder Schwerkraft trotzen, umeinander kreisen, in Spiralen zu Boden sinken, die Strömung aufhalten und wieder beschleunigen, in stetig fließender Bewegung, unterstützt von Miguel Marin, der den schweißtreibenden Fluss seiner Komposition am Schlagwerk in Gang hält. Nader und Campos, GN|MC, haben das Publikum schon im Osterfestival Tirol 2022 mit „Made of Space“ staunen lassen. Am 9. April werden die Zuschauer:innen im Congress / Innsbruck ihren Augen nicht trauen.

35. Osterfestival Tirol: „Im Fluss der Zeit“, 24. März – 9. April 2023, Innsbruck, Hall.
Tanz, Performance, Alte und Neue Musik, Film im Salzlager Hall und Congress Innsbruck. Das detaillierte Programm und den Link für die Kartenbestellung finden sie auf https://www.osterfestival.at/