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Tanz Linz: Chris Haring zeigt trügerische Bilder
Alles neu bei Tanz Linz. Die neue künstlerische Leiterin der Tanzsparte am Landestheater Linz, Roma Janus, bisher Dramaturgin und Produktionsleiterin, zeigt Mut. Ihren Einstand feiert die bisherige Dramaturgin und Produktionsleiterin am 23. April mit einem Tanzstück von Chris Haring. Der in Wien und international vor allem mit seiner Formation Liquid Loft arbeitende Choreograf zeigt seine Interpretation des Ballettklassikers „Schwanensee“ zur Musik von Peter Tschaikowsky.
Keine Chance! Keine Chance, sich gemütlich zurückzulehnen und sich von der magischen Musik des Komponisten einlullen zu lassen. „Schwanensee“ von Peter Tschaikowsky. Die Klagen der Schwäne, die Drohungen des Zauberers Rotbart, die Feste am Hof des Prinzen Siegfried, der verführerische Tanz von Odile, der falschen (schwarzen) Schwanenkönigin, die nichts anderes als ein Trugbild ist. Die Geschichte muss nicht erzählt werden, es kennt sie doch jeder, So wenig echt wie Odile, die Odette, das in einen Schwan verzauberte Mädchen, nicht sein kann, diese nur darstellt, so wenig echt ist auch die Liebe des Prinzen. Sonst hätte er die Phantasmagorie doch entlarvt und nicht den Schwur der ewigen Treue gebrochen und die Falsche, die Attrappe, zur Frau haben wollen. Choreograf Chris Haring verzichtet darauf, die seit gut 100 Jahren im kollektiven Gedächtnis verankerten Märchenmotive nachzuerzählen. Er schält den Kern der Erzählung heraus: Lug und Trug, Täuschung und Tarnung. Misstrauen ist angesagt, aber auch Offenheit und Neugier. Nichts ist fix in dieser Choreografie voller Fallen und Überraschungen, nicht die Rollen, auch nicht das Geschlecht, alle sind sie Schwäne, alle sind Prinzen, alle sind Odette, viele Odile – als fließende Metamorphose spielt sich etwas vor den Augen des Publikums ab, was kaum zu fassen und schon gar nicht festzuhalten ist. Man sieht, was man sehen will. Sonderbare Gestalten füllen die Bühne, fremde Wesen bewegen sich träumend, erstarren zu Skulpturen, verhüllen ihr Gesicht, heben die Arme, sind Schwäne, sind Festgesellschaft, sind im steten Wandel. Das Publikum darf sich an ihnen erfreuen, fühlt sich vielleicht bedrängt und auch betrogen, denn nichts ist, wie es scheint, schon gar nicht romantisch, wie die Musik Tschaikowskys, der Haring großen Respekt erweist. Noch ein Satz des Choreografen, zitiert aus einem Gespräch, das Thomas Edlinger, zur Zeit künstlerischer Leiter des Donaufestivals, für „Foyer 5“, der Publikation des Landestheaters Linz, mit Haring geführt hat: „Bei uns ist die pyramidenförmige Struktur aufgebrochen: Man weiß nicht, wer wichtig und wer unwichtig ist. Jeder kann Schwan, jede kann Prinz werden. […] Wir gehen ja nicht von einer Idee eines Körpers mit Prothesen aus, sondern von der Struktur eines Märchens. Ich muss diese Figuren daher putzen. Prinz Siegfried, Odette und Odile müssen abgestaubt werden. Erst danach kann sich auch ihre zeitgenössische Identität und eine Intensität entwickeln.“ Am 23. April ist die Uraufführung.
Premiere hat mit der Aufführung auch die neue künstlerische Leiterin von Tanz.Linz, Mag. Roma Janus. Die Theaterwissenschaftlerin und Kulturmanagerin hat in der Wiener Freien Theater- und Tanzszene, zuletzt bei Willi Dorner und seiner Compagnie, gearbeitet, in der Spielzeit 2020/21 ist sie als Dramaturgin und Tanzmanagerin ans Musiktheater (Landestheater) Linz engagiert worden. Sie hat sich als Fels in der Brandung bewährt und ist seit kurzem künstlerischen Leiterin der Tanzsparte. Gemeinsam mit Intendant Hermann Schneider und der Company hat sie bereits im Herbst 2021 „The Garden“, einen bunten Teppich aus Choreografien der Ensemblemitglieder, auf die Bühne gebracht. Unter der Leitung von Janus wird Tanz.Linz nun als Kuratorenmodell geführt. Die Chefin betreut und managt das Ensemble, wählt im Einvernehmen mit Intendant Schneider Gast-Choreograf:innen aus. Drei Premieren sind pro Saison vorgesehen: Eine Hauptproduktion im großen Saal des Musiktheaters mit dem exzellenten Brucknerorchester; eine weitere Produktion im großen Saal ohne Orchester und eine kleinere in der Black Box, wofür Tänzerinnen und Tänzer ihre Talente als junge Chorreograf:innen einsetzen werden.
Nach „Schwanensee“ als Tanzhöhepunkt dieser Saison wird das Publikum in der kommenden erfahren, was es heute mit der hinter einer Dornenhecke im Tiefschlaf liegenden Prinzessin auf sich haben könnte. Der international renommierte russisch-österreichische Choreograf Andrey Kaydanovskiy, bis zum Ende dieser Saison auch Tänzer im Wiener Staatsballett, wird die Geschichte in seiner unnachahmlichen Tanzsprache neu erzählen. Klar ist, dass auch Komponist Peter Tschaikowsky 1000 Takte mitzureden haben wird.
„Das Ensemble ist sehr divers, wir haben viele ganz junge Tänzerinnen und Tänzer und eine Mischung aus vielen Kulturen“, sagt Roma Janus. Der Vorteil: Die Tänzer:innen sind nicht auf eine Tanzsprache festgelegt, sind flexibel und offen. Ganz einfach war die Arbeit mit Chris Haring anfangs nicht. Seine Tanzsprache ist in Wien und auch in den internationalen Spielorten, die Haring mit seiner Company Liquid Loft bereist, wohl bekannt und längst Gewohnheit. Für die Linzer Tänzer:innen war sie neu und ungewohnt. Haring, so erzählt die neue Chefin, hat jedoch durch Empathie und intensive Kommunikation Verständnis und Engagement gewonnen. Bei der ersten Bühnenprobe mit Orchester war bereits zu sehen, dass das Konzept aufgeht. Harings Bildwelten sind auch für das Publikum neu, sich darauf einzulassen wird zum Abenteuer, das Aha-Erlebnis bleibt nicht aus.
Tanz.Linz: Neue Struktur der Tanzschiene am Landestheater und Premiere von „Schwanensee“ in der Choreografie von Chris Haring, mit dem Brucknerorchester unter Marc Reibel. Set Design / Kunst: Anouk Lamm Anouk; Kostüme: Stefan Röhrle, Videodesign: Michael Loizenbauer. Dramaturgie: Roma Janus. Probenfotos und Porträt Roma Janus © Michael Loitzenbauer..
Premiere: 23.4.2022, Musiktheater Linz. Ab 29.4. noch neun Aufführungen bis inklusive 28.6.2022.