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Tanz Linz: „The Garden“, eine Gruppenarbeit

"The Garden": Albert Carol Perdiguer, Fleur Wijsman.

Der Tanzabend „The Garden“ vereint Choreografien, die von den Tänzer:innen entwickelt worden sind, zu einem abwechslungsreichen Ganzen. Mythen, Legenden, Märchen aus der Heimat der Ensemblemitglieder, die aus verschiedenen Erdteilen und Kulturkreisen kommen, sind die Quellen für Gruppenauftritte, Solos, Duos und Trios auf der Drehbühne im Musiktheater. Eine großartige Leistung der Tänzer:innen und des sie begleitenden Teams, die unter schwierigsten Umständen entstanden ist. Das Publikum wusste die Anstrengungen zu schätzen und bedankte sich mit Jubel und Applaus.

Casper Mott und Hanna Szychowicz im perfekten Pas de deux.Die Geschichte ist kompliziert. Nicht die von Füchsen und Faunen, vom Phoenix oder der Schlange, von Hexen und Prinzessinnen, den vier Elementen und dem Kreislauf der Natur, also von der Vielfalt an Geschichten und an Tanzkunst, die auf der Bühne zu sehen sind, das geht unter die Haut und ins Herz, macht Angst und auch Freude, ist verständlich und rührt an. Kompliziert ist die Vorgeschichte und die Lage im Tanzensemble des Landestheaters, dessen Namen sich von Tanz.Lin.z in Tanz Linz zurückverwandelt hat, denn die Ballettdirektorin und Choreografin Mei Hong Lin, die nach dem Tod von Jochen Ulrich 2012 zur Chefin der Tanzsparte am Landestheater Linz bestellt worden ist, ist zur Zeit von ihrer Tätigkeit befreit.  Ab der Saison 2013 / 2014 hat sie das kleine Ensemble, zur Zeit sind es 17 Tänzer:innen, geführt. Nach immer häufiger aus der Kompagnie auftauchenden Beschwerden über den Führungsstil Lins hat Intendant Hermann Schneider Mei Hong Lin „bis auf weiteres“ freigestellt, „um die Vorwürfe ungestört und fair prüfen zu können."  Pavel Povrazík tanzt seit der Spielzeit 2013 / 14 in Linz. 2018 wurde er mit dem Tanzpreis der Freunde des Linzer Musiktheaters ausgezeichnet. Schneider selbst hat gemeinsam mit der Tanzmanagerin und Dramaturgin Roma Janus die interimistische Leitung des Tanzensembles übernommen und mit einem einsatzfreudigen Team „The Garden“ auf die Bühne gestellt.
Auffallend im Ensemble von Direktorin Lin ist auch die hohe Fluktuation der Tänzer:innen. Viele Verträge haben nur ein Jahr gehalten und wurden von der Direktorin nicht verlängert. Auch das Ensemble, das jetzt auf hohem Niveau präsentiert, besteht zum Großteil aus Tänzer:innen, die mit „The Garden“ ihr Hausdebüt feiern. Acht „Neue“ dürfen begrüßt werden, von den anderen sieben, die in „The Garden“ choreografiert und getanzt haben, sind lediglich drei Männer (Pavel Povrazník ab 2013, Lorenzo Ruta ab 2018, Yu-Teng Huang ab 2015) länger als zwei Jahre im Ensemble. Erstaunlich, dass dieses tastsächlich mächtige Häuflein so geschlossen und bestens trainiert, diesmal von Constantin Georgescu und Yuko Harada, wirkt.
Lorenzo Ruta , Mitglied von Tanz Linz seit Februar 2019, tanzt einen lüsternen Faun. Die Umstände, unter denen dieser durchaus präsentable Abend im Garten der Träume entstanden ist, verbieten jegliche Meckerei. Hm! Hm! Hm! Wie Papageno nehme ich ein Schloss vor den Mund, behalte kleine Einwände bei mir und nenne lieber die tapferen Tänzerinnen und Tänzer. Vor der Aufzählung aller Mitwirkenden an diesem gelungenen Abend muss noch der Pas de deux von zwei neuen Ensemblemitgliedern, Hanna Szychowicz und Casper Mott, hervorgehoben werden. Dieser Pas de deux mit dem Titel „Biorythm“ bleibt nicht nur der Harmonie und Körperbeherrschung wegen im Gedächtnis, sondern auch wegen der einfachen und beeindruckenden Kostüme: Das Paar tanzt in hautfarbenen Leotard, dekoriert mit knallroten verzweigten Linien. Es scheint, als sähe man die Blutbahnen und Nervenstränge unter der nackten Haut.Die Italienerin Elena Sofia Bisci ist seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied. Sie tanzt den Phoenix, der sich aus der eigenen Asche immer wieder neu erhebt.Es sind 15 Szenen, die nahtlos ineinander übergehen und durch ein Video an der hinteren Wand, das mit Sternenhimmel und Meereswellen, dunklem Wald und hellem Sonnenschein die Tanzbilder bekräftigt. Rechts und links des Portals steht je ein Turm aus Draht, die von den Tänzer:innen umgelegt und wieder aufgerichtet werden. Requisiten werden nur wenige benötigt, aber dann sind sie märchenhaft, wie der Baum mit den silbernen Blättern, in dem die Füchsin, Nicole Stroh, wohnt, Safira Santana Sacramento, seit 2019/20 im Ensemble, geht auf ihre brasilianischen Wurzeln zurück. oder die aufwändige Kostümierung von Safira Santana Sacramento die das weibliche Prinzip aus der afro-brasilianischen Naturreligion Camdomblé tanzt.  Zu meiner Freude, ist „Ô Miô“ (Sstücktitel und Figur) einer tapferen Kriegerin zugeordnet. Ebenfalls aus dem Candomblé bezieht Pedro Tayette seine Inspiration. Er ist „Oxumaré“, der die zyklische Transformation beherrscht, der das Regenwasser wieder in den Himmel befördert. Doch Oxumaré, weniger Wesen als Energie, ist zwar männlich determiniert, doch nur für ein halbes Jahr, da ist die Kraft im Regenbogen. In der anderen Hälfte ist sie in der Schlange und Oxumaré ist weiblich. Und flugs sind wir in der Gegenwart, in der die aktuelle Genderdiskussion nur von der um das hartnäckige Virus verdrängt wird.  Pedro Tayette, Ensemblemitglied seit 2019/20, ist zugleich Mann und Frau, wenn er das Prinzip Oxumaré verkörpert. Auch die restlichen drei Viertel der choreografierenden Tänzer:innen stellen einiges zur Diskussion, befassen sich doch alte Mythen und Märchen oft mit den drängenden Fragen der Menschheit – und können sie nicht beantworten. Was die Natur angeht, die in einem Garten ja im Vordergrund steht, gehört der tanzende Mensch seit jeher dazu. Im Tanz versucht er ihr zu dienen und sie auch zu beherrschen.
So ist der bunte Bilderbogen „The Garden“ wie das Leben selbst, einmal erfreulich, dann wieder gräulich, doch immer perfekt und motiviert getanzt, angetrieben von der Einsatzfreude und Fantasie aller Mitwirkenden, und, nicht zu vergessen, geschaffen in harter Arbeit.

„The Garden“, Choreografien von Tanz Linz.
Konzept und Supervision Inszenierung Hermann Schneider.
Supervision Choreografie Constantin Georgescu, Yuko Harada. Supervision Musik Aaron Breeze. Lichtdesign Johann Hofbauer. Video Michael Loizenbauer. Bühne Aleksander Kaplun; Kostüme Karin Waltenberger; Dramaturgie Roma Janus.
Choreografie und Tanz: Elena Sofia Bisci, Shao Yang Hsieh, Angelica Mattiazzi, Casper Mott, Katherina Nakui, Pavel Povrazník, Albert Carol Perdiguer, Lorenzo Ruta, Safira Santana Sacramento, Arthur Samuel Sicilia, Nicole Stroh, Hanna Szychowicz, Pedro Tayette, Fleur Wijsman.
Premiere. 30. Oktober 2021, Musiktheater Linz.
14 weitere Vorstellungen ab 3. November 2021 bis April 2022.
Fotos: © Michael Loizenbauer