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George Balanchine: „Jewels“, Ballett in drei Akten

Debüt für Navrin Turnbull, mit Liudmila Konovalova in "Diamonds".

Die achte Vorstellung des Balletts „Jewels“ – wie gesagt wird, das erste klassische Ballett ohne Handlung – zeigt, wie sämtliche anderen sieben Vorstellungen auch, welches Juwel des gesamte Wiener Staatsballett ist. Manuel Legris Verdienst ist es, aus dem etwas vernachlässigten Ensemble, das sein Vorgänger Gyula Harangozó hinterlassen hat, ein internationales Ensemble zu bilden, das sich mit den großen Compagnien Europas vergleichen lässt.

In der Vorstellung vom 9. Dezember gaben Elena Bottaro und Leonardo Basilio ihr Rollendebüt als Solopaar in „Emeralds“, dem ersten Teil des dreiaktigen Abends, zur Musik von Gabriel Fauré, einfühlsam und schwelgerisch dirigiert von Paul Connelly. Zurecht ist Elena Bottaro vor der Sommerpause zur Solotänzerin avanciert und hat auch diesmal nicht enttäuscht. Kiyoka Hashimoto mit Denys Cherevychko in "Rubies". Die in jeder Partie bezaubernde Rikako Shibamoto debütierte im lebhaften Pas de trois mit Anita Manolova und Dumitru Taran. Ein Verlust, wenn sie wie so manche andere das Ensemble verlässt (verlassen muss). Überzeugend, akkurat und perfekt in der Führung seiner Dame (Madison Young) ist Roman Lazik, für mich der Danceur noble schlechthin, immer wieder zu bewundern.

Namen zu nennen ist jedoch obsolet, sind doch sämtliche Erste Solotänzerinnen (bis auf Irina Tsymbal, die sich als zweifache Mutter in Zukunft wohl dem Unterrichten widmen wird) und auch die Solotänzerinnen (mit Ausnahme von Rebecca Horner, die im November als Frau in Grün, eine von ihr kreierte Rolle, in Edward Clugs Ballett „Peer Gynt“ das Publikum begeistert hat), als Juwelen des Balletts an der Produktion von „Jewels“ beteiligt.

Corps de ballet und die Halbsolist*innen haben den ganzen Abend zu tun, wechseln vom Grün der Smaragde ins Rubinrot und sind im letzten Akt zierliche Ballerinen in Diamantweiß, schmelzende Schneeflöckchen und fliegende Schwanenkinder. Es fällt leicht, die unpassenden, offenbar dem amerikanischen Geschmack entsprechende, Bühnendekorationen zu vergessen, der Blick haftet an den Tänzerinnen und Tänzern. Hingebungsvoll romantisch, dynamisch parodistisch und konzentriert klassisch à la russe.

Ebenso überflüssig ist es, über Authentizität und Originaltreue zu diskutieren. Original gibt es ohnehin nur eines. Dessen Präsentation fand vor mehr als 50 Jahren, 1967 mit dem New York City Ballet statt, für die es Mr. B., Mitbegründer New Yorker Compagnie, auch geschaffen hat. Der penible Meister Balanchine ist 1983 gestorben. Doch bei aller Akkuratesse wusste sicher auch er, dass Tanz nichts Absolutes, fest Gemauertes ist, sondern flüchtig und lebendig ist, sich mit den Jahren verändert, wie sich die Welt verändert. Das ist nun nicht politisch oder gesellschaftlich gemeint, sondern simpel physisch. Tänzerinnen und Tänzer haben andere Körper, können andere Bewegungen ausführen, auch die Musiker spielen nicht mehr wie 1963 und die Dirigenten lesen die Partituren (im aktuellen Ballett neben Fauré, Igor Strawinsky und Peter Tschaikowsky) neu. Ebenso verändert hat sich die Bühnentechnik, und auch die Erwartungen des Publikums sind andere, nicht immer die der Tanzkunst angemessenen.

In den acht Abenden mit unterschiedlichen Solistinnen und Paarungen habe ich acht unterschiedliche Vorstellungen gesehen, denn auch wenn Olga Esina und Liudmila Konovalova zwei Mal im diamantenen Pas de deux mit Jakob Feyferlik und Navrin Turnbull, der sich, sicher und elegant, als Halbsolist auf dem besten Weg zum Solisten befindet, tanzen, vermitteln sie bei aller Kunst und Werktreue an jedem Abend einen anderen Eindruck. Tänzer*innen sind, das wollen wir doch nicht vergessen, Menschen, deren Geist und Körper beweglich und veränderlich ist, nicht nur auf der Bühne. Und erst die Unterschiede zwischen zwei Tänzerinnen in derselben Partie, Balanchine wäre sicher mit Natascha Mair ebenso zufrieden gewesen wie mit Nina Poláková (Emeralds), mit Nikisha Fogo ebenso wie mit Kiyoka Hashimoto (Rubies), und das gleiche gilt für die Männer und sämtliche nicht Genannten.

Es kann gar nicht mehr das gelten, was vor 50 Jahren gültig war. Wir sehen ein zauberhaftes Ballett, jetzt und heute. Und genießen es, jetzt und heute.

Diese Compagnie ist nicht nur durch das harte Training durch Manuel Legris geworden, was es ist, sondern auch durch den Zusammenhalt und die Freundschaft der Tänzerinnen und Tänzer untereinander. Es ist eine Einheit, in der das Corps sich genauso anstrengt, wie die Solist*innen und diese gemeinsame Leistung samt der Freude am Tanzen springt auch auf das Publikum über.

George Balanchine „Jewels“, Emeralds | Rubies | Diamonds. Choreografie: George Balanchine, Kostüme: Karinska; Bühnenbild: Peter Harvey; Einrichtung Bühnenbild: John C. Sullivan; Licht: Mark Stanley; Einrichtung Licht: Christian Kass. Dirigent: Paul Connelly. 8. Aufführung, 9. Dezember 2019, Wiener Staatsballett, Staatsoper.
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Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballlett / Ashley Taylor