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Tipps: Lesen, Hören, Schenken
Wenn keine kleinen Kinder mehr mit den, für die Eltern, leuchtenden Augen zappelnd vor dem Baum stehen und ungeduldig warten, bis sie endlich das liebevoll ausgesuchte Papier von den Geschenken reißen können, dann ist es auch nicht notwendig, groß zu schenken. Wobei ja ohnehin meistens Unnötiges oder selbst Gewünschtes unter dem Baum liegt. Man muss aber nicht, doch wer wirklich will, darf.
Deshalb habe ich hier einige kleine Tipps, die mir Freude bereiten würden, wenn ich die Bücher und CDs nicht schon auf dem Tisch hätte. Bücher haben ja zu Weihnachten Hochsaison und eben habe ich sogar eine Art von Weihnachtsbuch gelesen. Eine ganz andere Art, die Geschichten von Susanne Falk, „Fast ein Märchen“, spielen nämlich alle in der Weihnachtszeit, sind aber beim Christkind keine Weihnachtsgeschichten. Aber es sind 24 und so kann man sie sogar als Adventkalender verwenden, jeden Tag eine Geschichte, die einander auch Erwachsene vorlesen können. Die Autorin kramt in der Chronik von Stars aller Schichten und Genres, von Politik bis Literatur, von Kunst bis Film, und vermischt Tatsachen mit Erdachtem. Vieles reizt zum Lachen – endlich, warum soll in dieser lauten und vom Handel usurpierten Zeit nicht auch gelacht werden –, manches ist schwarz wie der englische Humor. Jede Geschichte von Susanne Falk ist jedoch ein Gewinn. „Fast eine Märchen“, erschienen im Picus Verlag.
Und noch ein Schmunzelbuch: Thomas Meyer: „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“. Ich bin ja sicher nicht allein, die den orthodox erzogenen Juden Mordechai Wolkenbruch bereits kennt. In Meyers erstem Roman, „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ (Diogenes), haben wir den aus der Tradition ausbrechenden Heranwachsenden schon kennengelernt. Was er verbrochen hat, steht bereits im Buchtitel. Leider hat er deshalb sein Zuhause verloren, was den Vorteil hat, dass er nicht mehr das tun muss, was die Mame ihm anschafft. Die Einsamkeit und der Geldmangel machen ihm zu schaffen, bis er von den „Verlorenen Söhnen Israels“ erfährt, dass er nicht allein ist mit seinen Sorgen und eingeladen wird, nach Israel in ihre Selbsthilfegruppe zu reisen. Das tut er, steigt in der Hierarchie der verlorenen Söhne ziemlich bald auf und merkt, naiv und gutgläubig, wie er ist, erst ziemlich spät, dass er das Steuer einer geplanten jüdischen Weltverschwörung übernommen hat. Die „Söhne“ haben Konkurrenz, die sich in Bayern zusammenrottet, um den verlorenen Krieg zu rächen und als stramme Nationalsozialisten die Welt zu beherrschen. Die schöne Hulda wird nach Israel geschickt, um auszuspionieren, was die „Söhne“ dort so treiben und warum sie so erfolgreich sind. Und wieder wird Motti ein Toches, ein schöner Hintern, nämlich der von Hulda, zum Verhängnis. „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“ ist eine Komödie, daher ist ein Happy End garantiert.
Wer nicht lesen mag, kann hören: zum Beispiel das neue Album von Daniel Kahn, der die Chansons des russischen Dichters und Sänger Bulat Schalwowitsch Okudschawa (1924–1997) neu übersetzt hat und mit dem Moskauer Musiker Vanya Zhuk als Begleiter auf einer siebensaitigen Gitarre aufgenommen hat. Die traurigen Balladen, von Kahns dunkler Stimme auf Englisch interpretiert, erinnern tatsächlich an die frühen Lieder von Leonard Cohen und zeigen, wie großartig Bulats Schaffen ist. Bulat Okudschawa, Sohn eines georgischen Vaters und einer armenischen Mutter, hatte schon als Kind unter dem sowjetischen Regime zu leiden. Sein Vater, ein hoher KP-Funktionär, wurde 1937 als Trotzkist erschossen, die Mutter verbrachte als „Frau eines Volksfeindes“ zehn Jahre in einem Arbeitslader des Gulag. Okudschawa wuchs bei Verwandten in Tiflis auf, er kämpfe im Zweiten Weltkrieg als Artillerist und wurde Ende 1942 verwundet. Nach dem Krieg absolvierte er ein Studium und wurde Lehrer. Nach der Rehabilitation der Mutter kehrte er 1959 nach Moskau zurück.
Daniel Kahn, ein Amerikaner in Berlin, ist Singer-Songwriter, Schauspieler und Theater-Regisseur. Er singt auf Englisch, Jiddisch, Deutsch und Russisch. Seine Lieder und auch die Übersetzung der Gedichte Okudschawas strahlen eine melancholische Poesie aus, die ans romantische Herz rührt. Okudschawa gilt als einer der Begründer des russischen Chansons, an die 1000 Gedichte und etwa 100 Lieder waren und sind sowohl in Russland wie auch in Polen überaus beliebt. Nicht nur durch die Übersetzung Wolf Biermanns sind Okudschawas Lieder auch im deutschen Sprachraum gehört worden. Jetzt hat Kahn 12 Songs unter dem Titel „Bulat Blues“ aufgenommen, darunter auch das bekannte „Über mein Leben“ („Die erste Liebe …“). Für mich ist dieses neue Album ein wunderbar herber Kontraton zu dem vielen Schmalz, das uns vier Wochen lang um die Ohren gestrichen wird, zumal mich die Gitarre von Vanya Zhuk auch zum Tanzen einlädt, etwa mit dem köstlichen Chanson von den „Drei Schwestern“.
Beschenkt werden auch alle Fans der polnischen Band „Kroke“, die sich nach ihrer Heimat Krakau nennt. Nach der Filmmusik für „Cabaret of Death“ hat das Trio – Tomasz Kukurba, Jerzy Bawol, Tomasz Lato, mit dem Perkussionisten Slawek Berny nun für eine Theaterproduktion gearbeitet. „Rejwach“, (Radau, Spektakel) ist, wie der für die Bühne adaptierte Roman von Mikołaj Gynberg, auch der Titel des neuen Albums der seit 1992 erfolgreich musizierenden Krakauer. Fast meint man die Aufführung zu sehen, so gefühlvoll und eindringlich sind die dramatischen Szenen musikalisch interpretiert.
Zusammenfassung:
Susanne Falk: „Fast ein Märchen“, 24 Weihnachtsgeschichten, Picus 2019. 221 S. € 20. Auch als E-Book erhältlich.
Thomas Meyer: „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“, Diogenes 2019. 288 S. € 24,70. Auch als Taschenbuch erhältlich. € 12,40.
Daniel Kahn: „Bulat Blues“, Songs of Bulat Okudshawa. Sung in English by Daniel Kahn. With Vanya Zhuk on 7-string guitar. Oriente Musik 2019. Auch als LP erhältlich.
Kroke:“Rejwach“, Bühnenmusik. Oriente Musik 2019.