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Tim Parks: „in Extremis“, Roman

Autor Tims Parks © Volker Hinz / Kunstmann

Mit seinem Roman über eine Midlifecrisis hat der 65jährige britische Literaturprofessor und Autor eine rare Kostbarkeit geschaffen. Selten noch hat ein Mann mit so viel Humor Krise, Krankheit und Tod erzählt. Der Titel bedeutet „im Sterben (liegend), zum Äußersten“. Parks geht mit seiner Introspektion an die Grenzen dessen, was erzählbar ist, das aber tut er mit Charme, feiner Ironie und Empathie.

Kein Vergleich mit dem üblichen Krisengejammer selbstmitleidiger männlicher Autoren. Tim Parks, Übersetzer und Schriftsteller von Rang, nähert sich seinem Thema – Krankheit und Tod, Selbstzweifel und Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit – über die Sprache. Rhythmisch, klar und poetisch bezieht er die Leserin ein, spricht mit ihr, als wäre sie seine Vertraute. Nicht geringen Anteil an diesem Leseerlebnis hat die Übersetzerin Ulrike Becker.

In Amersfoort beginnt  Thomas Sanders Dilemma. © amersfoortbusiness.comDer Beginn dieser physischen wie psychischen Innenschau ist wenig appetitanregend: Der Icherzähler Thomas Sanders, ein Linguist, hält im holländischen Amersfoort einen Vortrag über die Beckenbodenmassage, für die ein Massagestab in den After eingeführt wird. Er leidet nämlich an Verkrampfungen und Spannungen im Unterbauch und an dauerndem Harndrang und hat Erfahrungen mit der in den USA erfundenen Heilmethode. Noch bevor er seine Rede beginnen kann, erfährt er von seiner Schwester, dass die Mutter in London im Sterben liegt. Damit beginnt sein Dilemma, er kann sich nicht entscheiden: Gleich losfliegen oder noch seine sehr gut bezahlte Pflicht erledigen.

Er hält den Vortrag, die Mutter lebt noch ein paar Tage, stirbt im Kreis der Familie und Thomas kann sich nicht entschließen, den aufgebahrten Leichnam nochmal zu sehen. Immer wieder telefoniert der geschiedene 57jährige mit seiner wesentlich jüngeren Freundin in Madrid, Im West Middlesex University Hospital liegt Frau Sanders im Sterben. © glassdoor.co.ukwo er lebt, überdies wird er von einer alten Freundin benötigt, deren Mann, sein bester Freund, vom möglweise schwulen Sohn ins Koma geprügelt worden ist. Das Leben und auch sein Körper fordern eine Entscheidung nach der anderen, doch Thomas ist ein Zauderer, quält sich lieber, als zu handeln.

Gnadenlos blickt er hinter die eigene und auch die Fassade seiner Geschwister, nicht verkrampft und psychologisierend, sondern mit liebevollem Blick, dem auch die komischen Seiten nicht entgehen. Parks setzt sich zugleich mit dem Leben „In Extremis", Buchcover. © Verlag Kunstmannund seinen eigenen Schmerzen auch mit der Sprache, an sich und der seiner Personen, auseinander, die fromme Mutter wird ebenso über die Sprache definiert, wie sämtliche Charaktere über ihre Sprache definiert werden. Man erfährt mehr über den Erzähler und seine Familie, seine Freunde und Freundinnen über deren Ausdrucksweise als über ihre Handlungen.

Deshalb ist dieses lange Selbstgespräch, diese ausufernde Beichte, so spannend, weniger Tatsachen als Gedanken, weniger Handlung als Sprache. Und diese Sprache, das hat Parks auch in seinen früheren Romanen bereits bewiesen, ist so klar wie poetisch, so entlarvend wie authentisch. „In Extremis“ ist ein Meisterwerk.

Tim Parks: „In Extremis“, übersetzt von Ulrike Becker, Kunstmann 2018. 448 S. € 24,70.