Skip to main content

Dava Sobel: „Das Glas-Universum“, Sachbuch

Autorin Dava Sobel © Mia Berg

Wissenschaft, so spannend erzählt wie ein Roman. Biografie, so lebendig wie eine Abenteuergeschichte. Die Amerikanerin interessiert sich besonders für den Sternenhimmel und versteht es, über alles, was da damit zu tun hat, Forschung und Entdeckung, so leicht verständlich und flüssig zu berichten, als wär‘s eine Liebesgeschichte. Na ja, eigentlich ist es das auch immer, die Geschichte der Liebe zu den leuchtenden Objekten am Himmel, die einst den Schiffen den Weg wiesen und heute immer noch das Interesse der Astronomen und auch der Laien erwecken. Die einen bewundern sie, die anderen erforschen sie.

Schon mit ihrem Sachroman „Längengrad“ über den schottischen Uhrmacher John Harrison, den es im 18. Jahrhundert endlich gelang, die Schifffahrt zu revolutionieren, weil es ihm gelang, den Längengrad zu bestimmen, hat Sobel eine weltweite Leserschar erobert. Danach beschäftigte sie sich mit den Planeten, mit Galileo Galilei und Johannes Kepler. Jetzt ist sie wieder zu den Sternen zurückgekehrt und hat die Arbeit und das Leben der kaum berühmten Frauen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts damit beschäftigt waren, die Sterne zu erkunden, sie zu klassifizieren und zu fotografieren, in einem Sach-Roman eingefangen.

 Sternkarte des Himmels über Mitteleuropa. ©  sternwarte-siebengebirge.deDie Fotografie war noch nicht sehr weit entwickelt, doch gelang es, das Licht des Himmels auf Glasplatten einzufangen. Im Laufe der Jahre entstand eine Sammlung von einer halben Million Glasplatten, mit den Beobachtungsdaten des Himmels zu jedem beliebigen Zeitpunkt zwischen 1885 und 1992. Ein unschätzbarer Schatz, auch wenn heute kein Astronom mehr Glasplatten verwenden würde.

Die Methoden waren damals im ausgehenden 19. Jahrhundert außergewöhnlich, aber noch außergewöhnlicher waren die Forscher, denn es waren Forscherinnen. Als die Astronomie fest in den Händen von Männern war, arbeiteten Frauen als Sternenjägerinnen. Buchseite: Oben die nun archivierten Glasplatten, unten der große Refraktor in der riesigen Kuppel ist längst stillgelegt. © Berlin VerlagAnfangs waren sie – Ehefrauen der Astronomen, Dienstmädchen, Kellnerinnen, Studentinnen des neuen Frauen College oder begeisterte Himmelsbeobachterinnen – als Rechnerinnen am Harvard College Observatory eingesetzt, doch bald wurden sie zu Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen. Sie beobachteten und inventarisierten nicht nur, sondern kategorisierten, entwickelten neue Methoden und entdeckten neue Sterne. Wilhelmina Fleming etwa, die erste Frau, die einen offiziellen Titel an der Harvard-Universität innehatte, erstellte eine Sternenklassifikation und entdecke zudem bei der Auswertung der Spektren auf den Fotoplatten 10 Novae und mehr als 300 veränderliche Sterne. Das Havarad College Observatorium , 1870 © Buchillustration / Berlin Verlag

Die Autorin würdigt in ihrem faszinierenden Buch die Arbeit und auch das Leben all dieser Frauen, vermischt deren wissenschaftliche Tätigkeit mit ihrem Privatleben, gibt ihnen Namen, eine Familie, zitiert aus Briefen und Tagebüchern und lässt keinen Zweifel daran, dass Frauen intellektuell den Männern keineswegs unterlegen sind. 1877 übernahm Edward Charles Pickering die Direktion des Harvard Observatoriums als vierter Direktor. Mehr als 40 Jahre hatte er das Amt inne. Er brachte die Spektralanalyse sowie die fotografische Durchmusterung des Sternenhimmels auf den Weg und sorgte für Sponsoren, sodass er immer mehr Frauen einstellen konnte. Bald sprach man von „Pickerings Harem.“

 Pickering mit seinem  Harem vor de meingang des Brick Building. © Buchillustration / Berlin Verlag Dava Sobel hat eine besondere Art zu erzählen, locker und auf Augenhöhe, niemals überfordert sie die Leserin mit Fachwissen (ein Glossar der Fachausdrücke findet sich im Anfang) und macht deutlich, dass diese Frauen und auch die Männer an den Refraktoren und Teleskopen unter der Kuppel des Observatoriums keineswegs aus Papier bestanden. DAva Sobel: Das Glas-Universum, Cover. © Berlin Verlag

Heute ist der Himmel über den Städten viel zu hell, die Observatorium sind auf die Gipfel der Berge oder in die Wüste übersiedelt, doch im Urlaub am Meer, auf einer Insel ohne Autos, kann man sogar mit freiem Auge die Wunder des Sternenhimmels betrachten. So eignet sich „Das Glas-Universum“, das von der monumentalen Arbeit in „Pickerings Harem“ erzählt, bestens als Urlaubslektüre.
Wissenschaftsgeschichte kann so spannend sein, wenn Dava Sobel sie schreibt.

Dava Sobel: „Das Glas-Universum. Wie die Frauen die Sterne entdeckten.“, aus dem Englischen von Thorsten Schmidt und Christiane Wagler, Berlin Verlag / Piper GmbH, 2017. 464 S., mit Glossar, Bibliografie, Quellenangaben zu jedem Kapitel und Kurzbiografien wichtiger Persönlichkeiten im Umfeld des Harvard-College-Observatoriums. € 26,80.