Skip to main content

Dror Mishani: "Die schwere Hand", Kriminalroman

Autor Dror Mishani. © Yanai Yechiel / Zsolnay

Die dritte Geschichte über Avi Avraham als introvertierten, unsicheren Ermittler ist weniger ein Kriminalroman, als ein doppeltes Psychogramm. Avi Avraham ist Chefermittler geworden, ringt mit der neuen Verantwortung, ist von Zweifeln und Schuldgefühlen geplagt. Zugleich wird von Mali, Mutter zweier Töchter und Ehefrau von Cobi, der sich immer mehr abkapselt, erzählt. Es dauert eine Weile, bis sich die beiden Lebenswege kreuzen. Der Autor nimmt jeweils die Perspektive der beiden zentralen Personen ein. Das stellt die Erzählung auf einen unsicheren Boden, so genau, woran man ist, weiß man selten.

Israelische Pileibeamte. Ein Unbekannter in Uniform wird gesucht. © Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license. Foto: Mark Probst (wikipedia)Avrahams erster Fall als Chefermittler ist der Mord an der 60jährigen Lea Jäger, die ein paar Wochen davor in ihrer Wohnung von einem Bekannten vergewaltigt worden war – hat sie zumindest der Polizei berichtet. Der Mann wurde verurteilt und sitzt seine Strafe ab. War der Mord eine Rache der Verwandten des Täters, eine Beziehungstat im Verwandtenkreis, ein Raubmord? Avraham und sein Team kommen nicht weiter in ihren Ermittlungen. Ein Nachbar hat Lärm in der Wohnung Jägers über der seinen gehört und einen Polizisten die Stiegen hinuntergehen sehen. Diese Beobachtung gefällt Avrahams Chef gar nicht, sie soll nicht beachtet werden. Ein Polizist, der womöglich in einen Mord verwickelt ist, das geht gar nicht.

Auch die unglückliche Mali – richhtig heißt sie Masali, doch das bedeutet auf Hebräisch Glück, und „Glück habe ich wahrlich keins“, sagt sie und zieht die Abkürzung vor – ist vergewaltigt worden. Während einer Fortbildungsveranstaltung in einem Hotel. Der Täter wurde nie gefasst. Doch der geheimnisvolle Polizist besucht andere Vergewaltigungsopfer, fragt sie mit der Behauptung ihr Fälle werde noch einmal aufgerollt, aus peinlichste nach dem Geschehen aus. In der Polizeizentrale ist davon nichts bekannt. Spielplatz in Cholon, südlich von El Aviv. Dort wohnt Avraham mit seiner Freundin. © Lizenzfrei, Foto: שאולה הייטנר

Die Leserin ahnt bereits, wer sich in der Univorm versteckt, doch die Ermittler tappen im Dunklen, warten auf DNA-Untersuchungsergebnisse, sichten Videoaufzeichnungen, befragen jetzt selbst Vergewaltigungsopfer. So richtig in Fahrt kommen sie ebenso wenig wie der Roman. Avraham reflektiert dauernd seine Arbeit, fragt sich, ob er richtig handelt. Der Autor kommentiert diese Gedanken und auch die Zweifel und Schmerzen von Mali, auf deren Trauma sich der Titel bezieht, nicht nur in ihren Albträumen spürt sie wieder „die schwere Hand“, die sich in jener Nacht um ihren Hals gelegt hat. Immer wieder fügt Mishani als Kommentator Sätze ein, die mit „hätte er gewusst, was dann geschehen ist“ oder so ähnlich beginnen. Das ist mir ein zu billiger Trick, um die Spannung zu erhöhen.

Doch geht es dem Autor sicher gar nicht darum, er will seinen Personen ganz nahekommen, Malis Schmerz und Avis Selbstzweifel spüren. Mishani ist von Beruf Literaturprofessor, spezialisiert auf Kriminalliteratur. Seit dem Tod von Batya Gur, so meint Mishani, darbe die Kriminalliteratur in Israel. Das will er ändern. Wie sein Ermittler orientiert er sich an Georges Simenon und seinem Kriminalisten Jules Maigret, der sich auch vor allem für die Motive der möglichen Täter interessiert und oft Verständnis für diese aufbringt, ohne über ihre Tat zu urteilen.

Mishani: Buchcover. © Zsolnay Verlag„Die schwere Hand“ ist ein düsterer Roman, es regnet viel in und um Tel Aviv und die Figuren sind unglücklich, können nicht schlafen und werden von schlechten Träumen gefoltert. Durch die vielen Konjunktiv-Sätze, vorausblickenden Warnungen eines allwissenden Erzählers, ist auch die Leserin schnell ermüdet, sehnt sich nach gesundem Schlaf und dem Singen der Vögel. Lange bevor die Ermittler*innen (die der Erzähler einmal beim Familiennamen, dann wieder beim Vornamen nennt, sodass ich sie kaum unterscheiden kann) eine Idee haben, wer und wo der Mörder sein könnte, weiß es die aufmerksame Leserin und ist auch mit dem blutigen Ende nicht zu überraschen. Das Unbehagen aber bleibt, was eindeutig für den Autor Dror Mishani spricht. Er legt mir seine schwere Hand zwar nicht an den Hals, doch aufs Gemüt.

Dror Mishani: „Die schwere Hand“, aus dem Hebräischen von Markus Lemke, Zsolnay 2018. 287 S., € 22,70.