Cordula Simon: "Der Neubauer", Roman
Die Titelfigur in Cordula Simons jüngstem Roman ist ein Phantom. Der namenlose Erzähler wartet ebenso auf ihn, den Neubauer, wie die ganze ekelhafte Bobo- Yuppie- Clique. Am Ende ist er da oder doch nicht. Wie gesagt, ein Gehirngespinst. Simon lässt ihren Erzähler, auch kein besonders sympathischer Kerl, rasant und ohne jegliches Blatt vor Mund und Hirn vor sich hin plaudern, schimpfen, mosern, meckern. Er mag diese ganze Gesellschaft gar nicht, will aber dennoch dazugehören. Das funktioniert nur, indem er ziemlich hoch stapelt.
In eine teure Bar gehen und gestopfte Bekanntschaften schließen. Der Erzähler hat es zur Methode gemacht. Er hat keinen Vater mit fettem Konto, muss arbeiten, zum Beispiel als Regalschlichter im Supermarkt. Das darf aber niemand von den Monis und Wiesners wissen, sonst wird er aus der pseudofeinen Gesellschaft geworfen. Aus dem Minijob im Supermarkt ist er schon geflogen, hat die Wohnung verloren und muss schauen, wo er unterkommt, wie er zu Geld gelangt, damit er mitfeiern, mitplappern, mitsaufen und auch bei allen anderen Partyspielen und auf der Couch mittun kann.
Ein Balanceakt auf dem Hochseil.
Der Erzähler ist kein Held, eher ein Loser, ein schlauer und erfindungsreicher halt. Er muss sich immer wieder verstecken, muss lügen und betrügen, stehlen, schwindeln, immer neue Schlupflöcher und Hintertüren finden. Die kapriziöse Freundin will er auch nicht verlieren, aber in der Rage bricht er ihr schon einmal den Finger. Was die an ihm findet, ist mir nicht verständlich. Jedenfalls ist sie genauso einsam wie die gesamte halbgebildete Ekelgesellschaft, die sich zur Elite zählt und der betrügerische Erzähler, der seine Biografie immer neu adaptieren muss. Dass ihm das nicht langweilig wird, erstaunt, denn obwohl Cordula Simon wie gewohnt mit scharfer Zunge und reichem Repertoire an Injurien und Fäkalwörtern erzählt, wird das Warten auf Godot, pardon Neubauer, mit der Zeit etwas öde.
Der Protagonist, weniger charmant als der charismatische Hochstapler Felix Krull, der vor gut hundert Jahren seinen Aufstieg geplant hat, kreist um sich selbst. Der Hochstapler des 21. Jahrhunderts steigt nicht auf, bleibt trotz krampfhafter Bemühungen und ätzender Bosheiten auf seiner Plattform aus Zynismus und Rücksichtslosigkeit stecken. Aus dem wird nie das, was er so gerne sein möchte. Auf dem Friedhof meint er, endlich den Neubauer zu sehen, gesehen zu haben. Doch es war wieder nix.
Cordula Simon scheut sich nicht, schrill und plakativ zu sein, doch trifft sie mit ihrer kritischen Haltung immer wieder ins Schwarze.
Eine amüsante, etwas um sich selbst mäandernde Geschichte mit Katze.
Cordula Simon: „Der Neubauer“, Residenz, 2018, 200S., € 20,00.