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Eva Stachniak: "Die Schwester des Tänzers", Roman

Autorin Eva Stachniak © Stachniak

Ein schöner Roman übe die Tänzerin und Choreografin Bronislawa Nijinska, in dem Eva Stachniak aus der Sicht ihrer Hauptperson die Geschichte der Tänzer-Familie Nijinky erzählt. Eva Stachniak ist in 1952 Polen geboren und lebt seit 1981 in Kanada. Mit ihren beiden Russland-Romanen („Der Winterpalast“, „Die Zarin der Nacht“) hat sie zwei Bestseller gelandet. Auch der neue Roman nimmt seinen Ausgangspunkt in Russland und hat ebenfalls das Zeug zu begeistern. Stachniak kann erzählen und was nicht durch Zeugnisse belegt ist, erfindet sie gekonnt.

Schon die Eltern Nijinnsky, waren Tänzer. Nicht auf den großen russischen Bühnen in Moskau oder St. Petersburg, doch auch als Mitglieder einer Tourneetruppe war der Tanz ihr Leben. Die drei Kinder, Stanislaw, Waslaw und Bronislawa, wachsen quasi auf der Bühne auf und sollten ebenfalls Tänzer (-in) werden. Ihren ersten Unterricht erhielten sie von der Mutter. Schon mit neun Jahren wurde der eigenwillige und dem Tanz verfallene Waslaw in die kaiserliche Ballettakademie (später Mariinsky-Akademie) aufgenommen. Die jüngere Bronislawa, Bronia, war neidisch: „Nicht weil er besser tanzen konnte als ich, sondern weil er ein Junge war.“ Bronislawa Nijinska, Fotografie, Datum unbekant © gemeinfrei
Dieser Nachteil, eine Frau zu sein, begleitete sie ihr ganzes Leben, ob als erfolgreiche Tänzerin oder als bahnbrechende Choreografin, die als Wegbereiterin der Neoklassik ihren fixen Platz in der Tanzgeschichte hat. Umso unverständlicher ist der deutsche Titel, der Nijinska wieder in die zweite Reihe stellt. Im englischen Original trifft er Nijinkskas Position besser, bezieht sich doch „The Chosen Maiden“ / „Die Auserwählte“ auf die Hauptfigur von Waslaw Nijinksys Ballett zu Strawinskys „Le Sacre du Printemps / „Frühlingsopfer“, die Nijinska bei der Uraufführung tanzen hätte sollen. Ihre Schwangerschaft mit Tochter Irina machte den Traum zunichte. Dennoch hat sie die Größe mit Marusja Piltz, die den Part im Mai 1913 tanzen wird, zu trainieren. Sie weiß was der strenge, von sich selbst überzeugte Bruder als Choreograf verlangt.

Bronia , wie Man Ray sie sah ©Exposition Ballets russes Bibliothèque-musée de l'Opéra de ParisStachniak bietet nicht nur die Geschichte der Familie Nijinsky (Stanislaw, der altere Sohn, verbringt sein Leben in einem Sanatorium. Schon sehr früh zeigt er Anzeichen einer Geisteskrankheit und kann wegen der aggressiven Anfälle nicht mehr zu Hause gepflegt werden, zumal der Vater die Familie verlassen hat und die Mutter nun als Alleinerzieherin drei Kinder durchbringen muss) sondern auch einen aufregenden Spaziergang durch die russische Ballettgeschichte, vor allem die der Ballets Russes des Impresario Sergej Diaghilev.

Revolution und Krieg verschlechterten die Lebensumstände der Künstler_innen in Russland, und schränkten Freiheit und Kreativität ein. Nijinska musste ihre erfolgreiche Schule in Kiew schließen und mit der Mutter und den beiden Kindern nach Europa flüchten. Danach emigrierte sie nach Amerika. Vadim Meller malt Nijinska, 1919 den Mephisto-Walzer tanzend © http://www.evastachniak.com/2016/11/05/the-chosen-maiden-ballets-1914-1935/
Dort hat sie auch Max Reinhardt getroffen, der ihr die Choreografie für seine Verfilmung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ anvertraut.

Stachniak schöpft aus allen zur Verfügung stehenden Quellen, vor allem den Tagebuchaufzeichnungen Nijinskas, die allerdings nur ihre frühen Jahre beschreiben. Andere Tanzgrößen haben ihre Memoiren geschrieben, so wie es Sekundärliteratur von namhaften Tanzhistorikerinnen und Sachverständigen gibt. Buchumschlag © Insel Verlag Gunhild Schüller hat ihre Dissertation („Eine Monographie“, Universität Wien, 1974, 290 S.) Bronislava Nijinska gewidmet.
Eva Staniak hat die Quellen studiert und daraus einen spannenden Roman geschaffen, der die Lebensgeschichte (bis zur Emigration in die USA 1939) einer außergewöhnlichen Künstlerin erzählt und die Faszination ebenso wie Glück und Leid des Tanzens lebendig darstellt. Dass Tanzgeschichte immer auch Sozialgeschichte ist, kann nicht oft genug festgestellt werden.

Eva Stachniak: „Die Schwester des Tänzers“ („The Chosen Maiden“), übersetzt von Peter Knecht, Insel 2016. 570 S. € 16,50.