Andrea Wulf: “Alexander von Humboldt“ Biografie
Andrea Wulf hat eine mitreißende Biografie über einen der originellsten Naturforscher und Meisterdenker der Menschheitsgeschichte geschrieben. Ihre Lebensbeschreibung ist eine Einladung in den reichen Kosmos Alexander von Humboldts.“ Dieser Begründung der Jury des Bayerischen Buchpreises (überreicht am 5. Dezember 2016 im Berliner Kronprinzenpalais) ist kaum etwas hinzuzufügen. Eventuell noch die Liste der Preise, die Wulf für ihre Beschreibung der „Abenteuer des vergessenen Helden der Wissenschaft“ im englischsprachigen Raum bereits erhalten hat. Etwa den Royal Society Science Book Prize 2015.
Die in Indien geborene, in Deutschland aufgewachsene englischschreibende Autorin Andrea Wulf, weiß nicht nur höchst unterhaltsam zu erzählen, sie bietet auch eine Fülle von Fakten über den Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859), der mehr Einfluss auf unser heutiges Verständnis von Natur hat, als allgemein bewusst ist. Wenn von Umweltschutz oder Klimawandel die Rede ist, denkt man heute kaum noch an Humboldt und doch hat sein Verständnis der Natur – „Alles hängt mit allem zusammen“ – unser Wissen und Denken (auch die Ängste) beeinflusst und geformt. Die einen kennen den Naturwissenschaftler nicht, die anderen halten ihn, das ganzheitliche Denken falsch interpretierend, als rettungslosen Romantiker.
Lediglich in Berlin begegnet man Alexander und seinem jüngeren Bruder Friedrich Wilhelm von Humboldt (1767–1835), aller Orten, sind doch Gebäude und Institutionen nach den beiden benannt. Friedrich Wilhelm war ebenfalls Gelehrter und Schriftsteller, aber vor allem preußischer Staatsmann. Kein zweites Geschwisterpaar ist zu finden, das die eigene geschichtliche Epoche mit seinem Forscherdrang, der Gelehrsamkeit und der Kunst der Wissensvermittlung so tief geprägt hat wie Alexander und Wilhelm Humboldt. In Wien erinnert eine Gasse im 10. Bezirk an Alexander Humboldt. Die wurde bereits 1874 (damals war die Gegend noch 4. Bezirk) benannt. Heute liegt sie, quasi herasugewachsen aus dem Zentrum, am Umspannwerk Favoriten, nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt. Ein Denkmal ist auch zu finden, wenn man den Kopf nach hinten legt: im 1 Stock der Humboldtgasse 34 (Ecke Keplergasse) steht Alexander in einer Nische und hält die Welt in den Händen.
Wulf hat intensiv recherchiert, zitiert aus dem überreichen Briefwechsel und Äußerungen der Zeitgenossen und betrachtet Humboldt nicht isoliert, aus Zeit und Raum herausgehoben, bettet seinen Forscherdrang und seine Reisen vielmehr ein, in seine Zeit. Anmerkungen, Register und die Biobliografie füllen mehr als 100 Seiten.
So bietet sie ein ganzes Kapitel über den Befreiungskampf Simón Bolívars in Lateinamerika. Er war in Paris mit Humboldt bekannt geworden, hat sich schnell für seine Ideen begeistert und führte seinen Sieg gegen spanischen Kolonisatoren auch auf Humboldts Einfluss zurück.
Der hat ihm nicht etwa Geld gegeben, das hatte er selbst nicht, nachdem er auf seinen Forschungsreisen das väterliche Erbe aufgebraucht hatte. Doch Bolívar machte seinen Landsleuten klar, dass ihr Land mit schöner und reicher Natur gesegnet sei und sie stolz darauf sein müssten und dafür um dessen Unabhängigkeit kämpfen sollten. Noch heute wird Simon Bolivar in vielen lateinamerikanischen Ländern als Nationalheld verehrt. Humboldt hat ihn und seine Landsleute gelehrt ihren Kontinent mit neuen Augen zu betrachten, seine Beschreibung der Natur, seine Ablehnung des Kolonialismus und der Sklaverei haben Bolívars Kampf wesentlich beeinflusst.
Auch Charles Darwin, der für seine erste Forschungsreise mit der Beagle Ende 1831 in See stach, Humboldt war mit dabei. Wie nahezu jede Leserin, jeder Leser hatte nämlich den "Humboldt" zu Hause. Darwin hatte die englische Ausgabe der Reisetagebücher, "Personal Narrative" als Reiselketüre. Es waren diese Schriften, die in ihm "den brennenden Wunsch "weckte, "wenigstens einen kleinen Stein zum großartigen Bauwerk der Natur beizutragen." Dass auch Goethe seinen Humbold gelesen hatte und sich überdies mit dem jungen Gelehrten bestens untehralten hat, ist keine Überraschung.
Wulf ist nicht nur eine sachlich berichtende Chronistin sondern eine gefühlvolle Verehrerin des „Erfinders der Natur“, die zwar auch seine Schattenseiten erwähnt, doch ihn auch zum größten Naturforscher aller Zeiten (wie man heute so übertrieben sagt) erhebt und dies nicht oft genug betonen kann.
De Lektüre ist also nicht nur wissenschaftlich haltbar und für Laien lehrreich sondern richtig vergnüglich.
Andrea Wulf: „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“, aus dem Englischen übertragen von Hainer Kober, C. Bertelsmann 2016, 560 Seiten, 8 S. Farbbildteil, 69 s/w-Abb. im Text, 3 Karten € 25,70.