Friedrich Ani: „Nackter Mann, der brennt“
Ein Mörder geht um, niemand kennt ihn, doch er kennt sie alle, hat er doch seine Jugend in dem schweigenden Dorf verbracht. Die Leserinnen kennen ihn auch, denn er erzählt seine Geschichte selbst und auch wenn uns noch so graut, wir verstehen den „nackten Mann, der brennt“, innen drinnen und bald auch außen mit Haut und Haar.
Der Münchener Schriftseller Friedrich Ani, 1950 als Sohn einer Schlesierin und eines Sysrers geboren, hat Drehbücher und Theaterstücke, Jugendromane und auch Gedichte geschrieben, der Großteil der Leserinnen aber kennt ihn vor allem als Autor von ganzen Zyklen von Kriminalromanen. Die Kommissare, Ermittler oder Detektive sind keine gewöhnlichen Typen. Dem Tabor Süden ist die Polizeiarbeit zuwider, dem Polonius Fischer, das Mönchsein und Jonas Vogel sieht gar nichts und braucht seinen Sohn für die Mörderjagd. Aus dem jüngsten Roman wird kein Zyklus werden, Zyklen über Mörder, will auch niemand lesen. Es genügt der eine Roman, der durch Coelestins, des Himmlischen, klaren Bericht genügend Nachdenkstoff bietet.
Coelestin ist seit er mit 14 das Dorf, die Freunde und die Familie fluchtartig verlassen hat, ein anderer geworden. Er wollte das Grauen, das er als Kind erlebt hat, vergessen. Gelungen ist das nicht, da halfen auch keine Drogen, jetzt ist daraus Wut geworden. Luggi, so nennt er sich jetzt, kommt zurück. Niemand erkennt ihn, auch nicht die eigene Mutter, die alt und stumm durch das Dorf geht. Für den Fremden ist es leicht, seine Opfer, eines nach dem anderen, zu stellen. Erklärungen verlangt er, Reue auch oder wenigstens Bedauern. Er bekommt wieder nur Schweigen. Alle wissen, was den Kindern angetan worden ist, keiner sagt etwas. Auch die ehemaligen Opfer schweigen, schwiegen auch damals. So erfahren auch die Leserinnen nicht, was damals vor 30 Jahren wirklich geschehen ist. Und das ist gut so.
Kein Roman für Voyeure. Ani vermeidet Details, lässt nur den Luggi reden, von seiner Wut, von seinem früheren Leben, von seinen Plänen. Es ist nicht nur Rache, die ihn antreibt und ohnehin nicht zum Löschen des Feuers geeignet ist, auch der Gedanke, dass man das Böse eliminieren kann, auslöschen, lässt ihn foltern und töten. Nicht die Verbrechen sehen im Mittelpunkt des Thrillers, auch nicht die Täter (aktiv oder passiv schweigend, also auch die Täterinnen), im Zentrum steht die gesamte Dorfgemeinschaft. In so einem Flecken (der Ort der Handlung, Heilgisheim, ist natürlich fiktiv), gibt es keine Geheimnisse, jede / jeder sieht alles, hört alles, weiß alles, doch keiner spricht, keiner verlässt den Ring des Schweigens, die Feigheit triumphiert über den Anstand. Keiner klagt, keiner kann richten. Auch Coelestin hat geschwiegen, hat nicht geholfen, ist davon gelaufen. Töten ist die einzige Lösung. Das Dorf sagt: Wieder ein Unfall. „Im Dorf hängt man keinen.“
Gegen meinen Willen wird mir dieser brennende Mörder im Laufe seines Berichts immer sympathischer, ich hoffe, er begreife endlich, dass an seinem Hass selbst verbrennt. „Ha!Ha! Said the clown“ zitiert Luggi, der einmal Coelestin war, zwischen durch immer wieder.
Ani erzählt ohne ohne grausige Details, die entstehen in unserem Kopf. Er spekuliert nicht, schreibt nicht um der Spannung willen und spannt den Bogen dennoch bis zum Äußersten. Langweilig ist nicht das Schweigen, langweilig sind die immer gleichen sogenannten Page-Turner über Serienmörder, kommerzieller Abusus, die sattsam bekannten und kaum recherchierten Missbrauchsgeschichten (und TV-„Tatorte“), öde sämtliche Krimis, die Figuren aus dem papierenen Ausschneidebogen benutzen.
Friedrich Ani ist anders und immer für eine Überraschung gut.
Friedrich Ani: „Nackter Mann, der brennt“, Suhrkamp 2016. 223 S. € 20,60.