Linde Prelog / Peter Reichert: „Wiener Mischung“
Mit einer Leica ist Peter Reichert, Grafiker und Fotograf, durch Wien spaziert und hat auf den Auslöser gedrückt. Ein Bildband der anderen Art ist entstanden: Mit Bildern, wie sie nur der fremde Blick entdeckt, in Schwarzweiß. Linde Prelog hat dazu ebenso ausgefallene und anregende Texte gemacht.
Wiener Mischung – ich meine, die gabs mal als gemahlenen Kaffee im goldenen Sackerl. In Berlin kann man sie noch immer kaufen, die Wiener Mischung: „Fein, sehr mild und ausgewogen.“ So soll es sein. So ist auch diese fotografisch-literarische Wiener Mischung.
Der Schweizer Fotograf Reichert, längst in Wien heimisch aber immer noch mit offenen Augen umher wandernd, hat nicht das laute, grelle, hippe, schicke Wien eingefangen, sondern Schnappschüsse gemacht, wann immer ihm Mensch, Tier, Stein oder Wasser, Erde oder Himmel ins auch Auge gestochen hat. Jetzt sind viele dieser Bilder ein einem großformatigen Band gesammelt, nach persönlichen Vorlieben und eigener Ordnung. Den Gang von Bezirk zu Bezirk verweigert der Fotograf, doch gibt er im Anhang an, in welchem Bezirk, welchem Winkel er wieder einmal die Leica gezückt hat.
Obwohl Reichert gern Ecken und Flecken aufsucht, die nicht gerade als Geheimtipp für das sehenswerte Wien zu bezeichnen sind. Dennoch sind auch manche Wiener Sehenswürdigkeiten zu finden, allerdings aus verrückter Perspektive. Die Karlskirche löst sich im Wasser auf, Erzherzog Albrecht verlässt reitend die Albertinarampe, der Turm des Stapahansdoms ist zweigeteilt und konkav gebogen. Noch mehr Bilder gibt es vom Alltag in Wien. Sie sind unwiederholbar. Ein Bett samt blütenweißem Bettzeug darf mitten auf der Straße als Model posieren, ein Hündchen fährt im Kinderwagen, einem anderen genügt die Einkaufstasche als Transportmittel, ein Zwergerl wandert ganz allein die breiten Stufen der U-Bahn hinauf, ein Aufstieg wie in Tizians Bild Mariä Tempelgang; die ganze Stadt ist von grafischen Mustern durchzogen, die wohl nur das Auge des Fotografen sehen kann.
Innenhöfe, Außenflächen, Spiegelungen, Sonnenstrahlen, Schattenrisse, anregend, aufregend, zum Wundern und zum Schmunzeln, selbst in Schwarzweiß.
Wenn ihr ein Verslein eingefallen ist, hat Gefährtin Linde Prelog die Bilder launig kommentiert. In gebundener Sprache und in Prosa. Dabei hat die Steirerin auch den Wienern und Wienerinnen aufs Maul g'schaut. Da gibts dann nur noch wenig zum Lachen. Sie schenkt der geneigten Leserin aber auch ein neues Gedicht über Brunnen (eben, wer hat schon über die Wiener Brunnen gedichtet!) und einen Text über die Tauberln, denn die gehören halt auch zu Wien. Ich frage mich immer von Neuem, wann die alten Weiblein endlich aussterben, die sie immer noch füttern.
Bei Fotos, was gab Inspirieren
ein Text dazu lässt passieren
und Reichert von bis Prelog
dann so neue Sichten bringen kann.
Diese Wiener Mischung ist ein Bildband für Wien-Kennerinnen, oder alle, die meinen, Wien zu kennen. Für alle auch, die täglich hetzen, rennen, hasten und doch nicht ankommen. es braucht schon das Auge eines Fotografen (oder einer Fotografin), um Wiens Gesicht abseits aller Postkarten Klischees zu zeigen.
Karl Farkas kann nicht mehr fotografiert, aber immer noch zitiert werden: „Schau’n Sie sich das an!“
Linde Prelog / Peter Reichert: „Wiener Mischung“, Pustet, 2016. 160 S., durchgehend s/w bebildert. € 34,00.