Gerhard Jelinek: "Sternstunden Österreichs"
Gerhard Jelinek erzählt Geschichte und Geschichten von / aus / über Österreich. Geschichten, die er als Wendepunkte in der Geschichte eines Landes, das sich gar nicht so genau definieren lässt, empfindet. Positiv denkend, befasst sich Jelinek nicht mit verlorenen Kriegen, verheerenden Epidemien, Meinungsterror und anderen Katastrophen, sondern berichtet von jenen Ereignissen, die die Weichen zum Besseren gestellt haben.
„Sternstunden“, schreibt der Autor Stefan Zweig, „[…] sind selten im Leben eines einzelnen und selten im Lauf der Geschichte […] Ich habe sie so genannt, weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen.“ Von „Sternstunden“ der Menschheit, oder Ereignissen, die er als solche empfunden hat, dichtet Zweig und veröffentlichte 1927 fünf Miniaturen. Geschrieben hat er aber ungefähr 14, die im Lauf der Zeit veröffentlicht worden sind und in unterschiedlicher Zusammensetzung in den 1950er /60er Jahren Verkaufsschlager jedes Buchklubs waren. Nicht nur damals, nach zwei Weltkriegen, wurden Helden gebraucht.
Dass die geneigten Leserinnen auch heute gern vom Schönen, Heldenhaften, Richtigen und Bewundernswerten lesen, weiß Gerhard Jelinek und schenkt ihnen Sternstunden, die sich nicht auf die Weltgeschichte im Großen sondern auf felix Austria im Kleinen beschränken. Dennoch sind manche dieser denkwürdigen Geschehnisse auch Sternstunden der Menschheit. Aus Jelineks Beispielen: Ignaz Semmelweiß, „Retter der Frauen“, der durch einfache Sauberkeit das Kindbettfieber ausgerottet hat, oder, passend zur Jahreszeit, Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber. Der Lehrer und der Hilfspfarrer, Gedichteschreiber der eine, Komponist der andere, haben tatsächlich die Welt erobert. Und falls es noch nicht klingelt in den Gedächtsniszellen: Die beiden sind die Autoren des weltweit neben, unter oder ganz ohne Lichterbaum gesungenen Liedes von der „Stillen, heiligen Nacht“. Als Sternstunde der Geburt des Liedes gilt die Christmette des Jahres 1818 – bald sind es 200 Jahre dass diese Stunde alljährlich „ die Nacht der Vergänglichkeit“ übergllänzt.
Nein, sentimental ist Jelineks Buch keineswegs, im Gegenteil, der Autor schreibt mit leichter Hand und schaut mit dem Humor des fernen Betrachters, auf die Geschichte, um davon Geschichten zu erzählen. Jelinek, als ORF-Mitarbeiter für „Dokumentation und Zeitgeschichte“ verantwortlich, hat akribisch recherchiert und weiß zu erzählen. Oft mehr, als man eigentlich wissen will.
500 Jahre Maximilian. Mir gefällt am besten die Sternstunde im Wiener Stephansdom als dort per procurationem geheiratet worden ist. Beteiligt war der 56jährige Kaiser Maximilian I. (letzter Ritter, erster moderner Mensch) und die 12jährige Anna, Tochter des Königs von Ungarn. Per procurationem, in Stellvertretung, wurde in Königs- und Kaiserhäusern immer wieder geheiratet, damit Ehe- und Erbverträge schon festgemacht werden können, während das ausgewählte Paar noch in den Windeln liegt. Maximilian stand für einen seinen Enkel, Karl oder Ferdinand, das wurde nicht so genau genommen, am Traualtar. Ferdinand hat dann die zu einer hübschen 15jährigen herangewachsene Anna bekommen und die Ehe war sowohl glücklich wie fruchtbar. Maximilian hat das nicht mehr erlebt, er ist vier Jahre nach der Show mit 60 Jahren gestorben. Mit einer einzigen Hochzeit war es aber an jenem Sonntag im Juli 1515 nicht getan, zwei andere Kinder wurden ebenfalls aneinander gebunden: der neunjährige Bruder Annas Ludwig und die zehnjährige Maria aus dem Haus Habsburg. Diese waren beide leibhaftig anwesend, tauschten vielleicht auch die Ringlein. Mit der Doppelhochzeit begründete die Familie Habsburg ihre Weltmachtgeltung. Mehr als eine Sternstunde – sechs Tage währten die Feierlichkeiten.
Inge geblieben bin ich am Kapitel über „die Doppelhochzeit zu Wien“ , weil der Zufall es will, dass ich gleichzeitig mit Jelineks Suche nach den „hellen Seiten unserer Geschichte“ Peter Pranges historischen Roman über Maximilian I. („Ich, Maximilian, Kaiser der Welt“, Fischer Taschenbuch, € 11,30) gelesen habe. Der endet zwar vor der legendären Doppelhochzeit, doch die Pläne sind schon geschmiedet: Tu felix Austria nube!
Der Autor bewegt sich nicht nur in den Burgen und Palästen der Herrscherhäuser, begibt sich auch auf die Schipisten, wo Toni Sailer Olympiagold erobert, erzählt vom Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner, beobachtet den ersten Gemeindebau im „roten Wien“, staunt über die Großglockner Hochalpenstrasse, genießt die Salzburger Festspiele, hört Mozarts letztes, unvollendetes Werk, das „Requiem“ und wohnt der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Belvedere (1956) bei. So entsteht ein vielfältiges Bild eines Landes, einer Nation, eines Volkes oder wie man das heutige Gebiet zwischen Boden- und Neusiedlersee bezeichnen mag, das neben den dunklen auch seine hellen Stunden erlebt hat.
Angenehm zu lesen, unpathetisch aber lehrreich und erinnerungsträchtig, je näher die Kapitel diesem Jahrhundert rücken. Die Auswahl der einzelnen Leuchtpunkte ist subjektiv und endet mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Möglich, dass der Stern dieser Stunde mehr als 20 Jahre danach schon ziemlich verblasst ist, ein Markstein in der Geschichte Österreichs wird dieser Junitag 1994, als der Beitrittsvertrag auf Korfu unterzeichnet worden ist, jedenfalls bleiben.
Unverständlich aber vermutich symbolisch ist das Umschlagbild des Buches. Wohin und auf wen die Menschen auf dem hölzernen Balkon schauen, ist nicht zu eruieren. Verlag und Autor meinen wohl, in eine sonnige Zufkunft. Schän wärs!
Gerhard Jelinek: „Sternstunden Österreichs. Die helle Seite unserer Geschichte“, Amalthea 2015. 320 S. € 17,99.