Eleanor Catton: „Die Gestirne“
Wenn neue Romane als sensationelle Bestseller angekündigt werden, die Autoren_innen als Überraschung Preise geschenkt bekommen und die Verlage den Buchändlern_innen Sonne, Mond und Sterne zur Dekoration zur Verfügung stellen, dann ist Vorsicht geboten, sind Zweifel angesagt. Daher Vorsicht bei den Hymnen über den neuen Roman Australierin Eleanor Catton. Mit mehr als tausend Seiten, viel Leerlauf und einem konstruierten Personal bieten „Die Gestirne“ nicht viel mehr als ein Wälzer. Eine Sensation ist das nicht.
Ein Wälzer! Und das heißt, dass er für viele Orte, an denen ich gerne lese, schon mal ungeeignet ist. Der Schmöker passt in keine Tasche und ist viel zu schwer, um ihn für den Fall der Fälle mit sich zu tragen. Viele dieser angekündigten Sensationen sind Übersetzungen anglo-amerikanischer Romane und treffen möglicherweise den überseeischen Lesegeschmack, halten aber meist nicht im Geringsten, was so vollmundig versprochen (mitunter auch ungeprüft in den Gazetten nachgeschrieben) wird. Im konkreten Fall glaube ich überdies nur den wenigsten Rezensent_innen, dass sie 1035 Seiten in der kurzen Zeitspanne zwischen Erscheinen des Werkes und ihrer Rezension lesend und verstehend schaffen. Laut einer Untersuchung des Medienberaters Jakob Nielsen kann nur 1 Promill der Bevölkerung mehr als 1000 Wörter in der Minute lesen und verstehen. Eine(r) von Hundert schafft 800 bis 1000 Wörter und versteht davon auch nur etwa 80 Prozent. Gut, „Die Gestirne“ sind nicht schwer zu verstehen und man versäumt nicht allzu viel, wenn man ein paar Seiten überspringt Doch istdas der Sinn der Lektüre, in sich hinein zu schlingen, was geht?
Überschätzt. Daher gestehe ich ohne Scham, dass ich es nach zwei Dritteln aufgegeben habe, gegen das anfallsartig auftretende Schlafbedürfnis zu kämpfen, und weil ohnehin alle Personen in diesem Puzzle lügen und betrügen, gibt es auch keine finale Wahrheit, die ich wissen müsste. Cattons USP (unique selling proposition) ist ihre Idee, dem Roman in zwölf Kapiteln (assoziiert mit dem Tierkreiszeichen auf den Streichholzbriefchen oder Zuckersachets) eine astrologische Struktur zu geben. Das hat den Juroren_innen (Literaturkritiker, Schriftsteller, Wissenschaftler und „wichtige Persönlichkeiten“, wobei der Auswahl der alljährlich wechselnden Jury die Verlage ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben) so gut gefallen, dass sie der Neuseeländerin den Preis verliehen haben und damit die 28jährige zur jüngsten Preisträgerin seit der Gründung des Preises 1968 gemacht. „Sensationell“ jubeln da manche Rezensen_innen. ??? In jedem Lexikon, ob auf Papier oder elektronisch, sind Gleichaltrige oder Jüngere zu finden, die die Welt wesentlich heftiger aus den Angeln gehoben haben, als Eleanor Catton, Musterschülerin in der Schreibschule.
Die Figuren sind wie aus Papier geschnitten, unveränderlich, langweilig, blass; sie reden in einer Sprache, die Catton als die des 19. Jahrhunderts ausgibt und langweilen mit ihrem umständlichen Geschwafel. Weder durch ihre Worte noch durch ihr Handeln oder Denken werden sie charakterisiert, sondern durch langatmige Beschreibungen. Vergeblich bemüht sich die Autorin um Dramatik, auch wenn sie von Schmuggel, Mord und einem Geisterschiff, geheimer Korrespondenzen, Opiumrausch, Verwechslungen oder einer unheimlichen Séance berichtet. Dass sie als allwissende Erzählerin kokett in ein affiges „wir“ verfällt, um die Fortgang der verflochtenen Geschichte zu unterbrechen, macht den Brei nicht schmackhafter.
Wo, wann wie? Richtig, da fehlen noch einige Antworten. Also dieser Roman, der am Reißbrett konstruiert ist, was sicher – und das muss anerkannt werden – viel Arbeit gekostet hat, spielt, wie schon angedeutet im 19.Jahrhundert, um 1865, als Abenteurer und Schatzjäger vom Goldgräberfieber infiziert waren und (auch) nach Hokitika im Westen Neuseelands pilgerten. Wie es da zugeht, ist nicht Neu. Leserinnen kennen die Sehnsucht nach schnellem Reichtum, Leid und Elend der Jagad danach aus zahlreichen Abenteuerromanen und Schatzsuchergeschichten. Zum Beispiel aus Rose Tremains wundervollem Roman „The Colour“ („Die Farbe der Träume“, inseltaschenbuch).
Zur Erholung von diesem mit Kalkül gut konstruiertem Produkt, dessen Sprache ich nicht wirklich beurteilen mag, denn wie treu sich Übersetzerin Melanie Walz an das Original gehalten hat, weiß ich nicht, lese ich jetzt wieder eine Geschichte voller Leben, nicht synthetisch sondern erlebt und erforscht und doch nicht vor der Haustür sondern im südpazifischen Samoa spielend, wo der Autor der „Schatzinsel“ Robert Louis Stevenson seine letzten Lebensjahre verbracht hat. Der feinfühlige Autor Alex Capus erzählt nicht nur von Stevenson, seinen Reisen und Träumen, sondern stellt in eleganter Sprache und geschliffenem Stil alle Facetten der im 19. Jahhrundert modischen Schatzsuche (und der Schatzsucher) dar. Schon um des schönen Titels willen – „Reisen im Licht der Sterne“ – nehme ich das Buch, neu aufgelegt vom Hanser-Verlag, wieder zur Hand.
Gegen dicke Bücher habe ich nichts, im Gegenteil ich mag es, die selben Personen täglich wieder zu treffen und vom Auf und Ab ihres Lebens zu erfahren. Cattons lebloses Personal konnte mich bis zur Seite 314 nicht fesseln. Da habe ich aufgegeben. Und bereue es nicht. Wer aber leicht Verdauliches liebt, sich gern in einem Schmöker verliert, ohne das Hirn oder Herz belastet werden, ist sicher mit dem Opus der „jüngsten Booker-Preisträgerin“ gut bedient.
Eleanor Catton: „Die Gestirne“, übersetzt von Melanie Walz, btb, 2015. 1040 S. € 25,70.
9783442754793
Rose Tremain: „Die Farbe der Träume“, übersetzt von Christel Dormagen, Insel Taschenbuch, 2012. 455 S. € 10, 30
Alex Capus: „Reisen im Licht der Sterne. Hanser, 2015. 2. Auflage. 224 S. € 20,50