Italien, Jenseits von Pizza und Pasta
Raue Töne aus Sizilien. Mattia Insolia ist noch keine dreißig und hat in Italien neben Kurzgeschichten und Magazin-Artikeln schon zwei hochgelobte Romane veröffentlicht. Nach Gli affamati / Die Hungrigen, erschienen 2020, ist nun auch der 2023 aufgelegte 2. Roman, Cieli in Fiamme unter brennende Himmel auf Deutsch erschienen.
Geboren ist Insolia 1995 in Catania / Sizilien, an der Universität Sapienza in Rom hat er Literatur studiert und das Studium mit einer Arbeit über die literarische Bewegung der Cannibali abgeschlossen. Wie deren Splattertexte lesen sich auch Insolias Romane.
Die Cannibali, eine Reihe italienischer Autoren, machten in den 1990er Jahren durch ihren besonders rauen, von Gewalt geprägten Stil auf sich aufmerksam. Den Texten verpassten die Medien das Etikett Pulp, die Autoren wurden cannibali benannt. Ihre Texte sind nichts für zarte Seelen. Und auch nichts für die Kollegen der Cannibali.
Der Autor Andrea Camilleri (1925–2019), wie Insolia ein Sizilianer, hat seine Meinung zu expliziter Grausamkeit in der Literatur deutlich kundgetan. Im Sammelband Gli arancini di Montalbano, Kurzgeschichten über den berühmten sizilianischen Commissario Salvo Montalbano, ist es dieser selbst, der seinen Abscheu kundtut. Montalbano si rifiuta / Montalbano verweigert sich heißt die Erzählung, in der Montalbano Zeuge eines brutalen, überaus grausamen Mordes wird. Ein Mädchen wird verstümmelt und von den Mördern gekocht. Camilleri greift zur romantischen Ironie und Montalbano zum Telefon. Erschüttert bittet er, die Geschichte verlassen zu dürfen. Wegen der extremen Gewalt hät er sie für ungeeignet zur Veröffentlichung. Deutlicher kann man die Abneigung gegen die Cannibali nicht ausdrücken. Mattia Insolia scheint ein später Nachfolger dieser von den Medien als Kannibalen bezeichneten Autoren zu sein. Die Handlung in Brennende Himmel spielt auf zwei Zeitebenen. 2000 sind Teresa und Riccardo Teenager, 2019 dementsprechend erwachsen und eine dritte Person kommt dazu, der 19-jährige Niccolò. Alles klar! Teresa, aufgewachsen in einer lieblosen Familie, hungert nach Zuwendung und Zärtlichkeit. Riccardo, ein wohlstandsverwahrloster Jüngling, nimmt sich, was er kriegen kann und Teresa bietet sich ihm quasi auf dem Tablett an. Allerdings ist ihre Vorstellung von Liebe eine andere als die von Riccardo. Das Elend nimmt seinen Lauf und kein Ende.
Der Autor wechselt zwischen den zeitlichen Ebenen, doch das Dreieck ist bald klar. Riccardo ist der Vater von Niccolò, dem unehelichen Sohn von Teresa. Doch eine Familie gibt es nicht, davon haben die ungewollt zu Eltern gewordenen Kinder genug. Teresa zieht ihren Sohn alleine auf, Niccolò sehnt sich nach einem Vater. Der entschließt sich, nach 19 Jahren eine Beziehung zu seinem Sohn aufzunehmen. Es ist zu spät.
Insolia zeigt die Rückseite eines als Urlaubsziel verlockenden Landes, indem sich die Tragödien der Unfähigkeit, Lieblosigkeit und Gewalt von Generation zu Generation fortpflanzen. Unverständnis und Egoismus der Elterngenartion , lässt in den Kindern Wut und Gewalt- bereitschaft wachsen. Angst und Einsamkeit werden mit Sex und Drogen betäubt. Das eben ist der Fluch der bösen Tat..
Insolia verwendet eine drastische Sprache, er kriecht förmlich in seine Personen hinein, ihre Gefühle fließen in die Sprache des Autors. Das ist erschütternd und abstoßend zugleich, die Leserin wird zur Voyeurin und muss bis zum tragischen Ende, das vom Autor im Prolog vorweggenommen wird, durchhalten. Ich halte es mit Camilleri / Montalbano: Splatterliteratur, die ihr Vergnügen an kannibalischer Sprache, ordinären Ausdrücken, Sadismus und krudem Sex findet, halte ich als (meine) Lektüre nicht für geeignet. Realismus oder Verismus in Wort und Bild ist ein Teil Kunst, Filmregisseurinnen, Dramatikerinnen und Autorinnen haben ihre Finger in manche Wunde gelegt und das Publikum zum Hinschauen gezwungen. Doch die Cannibali, und Mattia Insolia kann dazugerechnet werden, scheinen mit Lust im Schmutz zu wühlen. Das aber ist weder neuartig, noch weckt es mein Interesse.
Mattia Insolia: Brennende Himmel / Cieli in fiamme, aus dem Italienischen von Mirjam Bitter. 352 Seiten, Karl Rauch Verlag, 2024. € 25,70
Der Verlag warnt die Leserinnen: „… Die Inhalte können beim Lesen belastend oder retraumatisierend wirken.“