Slough House, ein neuer Fall für die Slow Horses
Mick Herron, Autor der Reihe um die Slow Horses, hat im 7. Band seinen Humor mit Gift und Galle zugedeckt. Slough House ist eine überaus düstere Satire, über die Folgen des Brexit, über die Machenschaften im Geheimdienst und der Finanzwelt, über Machtgier und Korruption, Populismus und die Hilflosigkeit der Regierung. Die Folge: Das Leben der lieb gewonnenen Personen im Slough House hängt an einem seidenen Faden, der zu oft reißt.
Zu Erinnerung: Die lahmen Pferde (Slow Horses ist der Titel von Band 1 der Serie um Jackson Lamb und seine Mitarbeiterinnen) sind Mitglieder des MI5, des Inlandsgeheimdienstes, die aus dem noblen Quartier am Regent’s Park (einfach the Park genannt) ausquartiert und in die Bruchbude in der Aldersgate Street in London verlegt worden sind. Einige haben einen Fehler begangen, andere waren zu gut und sind in die von Konkurrenten aufgestellte Falle getappt. Chef im Slough House ist Jackson Lamb, ein Ungustel und Widerling, einst, im kalten Krieg, ein wichtiger Mann, was er angestellt hat, bleibt geheim. Der Säufer und Kettenraucher behandelt seine Pferde miserabel. Doch wenn das jemanden von außen einfiele oder sie in Gefahr gerieten, kennt Lamb keine Gnade, tut alles, um sie zu schützen und legt es sich auch mit der Spitze des MI5 an. In „Slough House“ (auf Deutsch könnte das mehrstöckige verfallene Gebäude als Sumpfhaus bezeichnet werden) taucht er erst spät auf, Slough House und die Slow Horses gibt es nämlich nicht mehr. Adresse und Namen wurden aus den Akten gelöscht, sie sind quasi unsichtbar geworden. Doch Aufgeben ist keine Option. Spionin bleibt eben Spionin und allmählich muss auch Lamb einsehen, dass Gefahr in Verzug ist. die Verfolger der Mitarbeiterinnen keine Einbildung sind und die Liste der Verluste immer länger wird. Doch die Slow Horses tun nicht, was die Vernunft gebietet, nämlich sich einen sicheren Ort zu suchen, sondern drehen die Jagd um. Lahmes Pferd verfolgt Verfolger. Angeordnet wurde die Jagd von Park. Junge Möchtegern-Spione sollen üben, als Beobachter unerkannt zu bleiben und die Slow Horses sterben eine nach dem anderen. Doch das, leider, ist nicht neu in Jackson Lambs Reich der lahmen Gäule. Deshalb ist es auch für die Leserinnen gefährlich, sich an die im Grunde sympathischen bis liebenswerten geschassten Spione zu gewöhnen. Catherine Standish etwa, die Einzige, die Jackson Lamb versteht und das knirschende Werkel am Laufen hält. Oder River Cartwright, der ebenfalls ins Slough House verbannt ist, und wie alle anderen hofft, demnächst wieder in den Park zurückkehren zu dürfen. River eröffnet den ersten Band (Slow Horses) und genießt als Enkel von OB (Old Bastard) David Cartwright, der als Aktiver bis in die 1980-Jahre als Macht hinter dem Thron galt, eine Sonderstellung. Doch der OB ist gestorben und River hat sein Haus geerbt. Dort findet er seine Sid Baker wieder. Sie war einst ins Slough House geschickt worden, um River zu überwachen.
Bei einer gemeinsamen Aktion wurde sie in den Kopf geschossen und, wie es für verletzte Spione üblich ist, ins Out geräumt. Niemand hat je etwas wieder von ihr gehört, bis River, erschöpft von der Verbrecherjagd und dem Verlust einer Kollegin, in Großvaters Haus Erholung sucht. Sid ist aus ihrem vom Park angeordneten Versteck geflohen. Wusste nicht wohin, außer im Haus von OB auf River zu warten. Er kommt, ist erstaunt und freut sich und weiß, dass es nicht einfach ist, Sid zu retten. Doch bald ist er selbst in Gefahr. Im Slough House sind alle mit sich selbst beschäftigt, können Sid und River nicht helfen. Die Feinde, die Sids Tod wünschen, um dem Park ein Zeichen zu setzen, sind unerbittlich, sie zu töten nützt nichts, es wachsen sofort neue Killer nach. Und sie töten auch, wenn sie weit entfernt sind.
Das Finale lässt, wie in jeder Folge, jemanden oder etwas durch das Slough House wandern, die Räume inspizieren, nachzusehen, wer noch da ist, oder Spuren hinterlassen hat. Eine Katze kann das sein, ein Bus, der durch die schmutzigen Fenster blickt. Und obwohl die Leserinnen gleich zu Beginn eingeladen waren, das Slough House wie üblich durch die Hintertür zu betreten und die Räume zu kontrollieren, als stünde die Immobilie zum Verkauf, ist das Finale auch diesmal comme il faut. Ein Schatten geistert durch das kalte Haus, steigt Stockwerk für Stockwerk hinauf, während er stumm an seiner Zigarette saugt. Obwohl dieser korpulente Schatten kein einziges Wort äußert,
kein hörbares Wort äußert. nehmen die dunklen und leeren Räume daruner trotzdem ein Echo auf, und eine Zeit lang flüstert es im Slough House. stirb nicht, bis der Klang verhallt und nur „stirb“ übrigbliebt, und das hält eine Weile an, stirb, stirb, und dann ist es plötzlich vorbei.
Unheimlich und überaus traurig.
Doch in englischsprachigen Buchhandlungen liegt bereits der nächste Band, Bad Actors (Schlechte Darsteller), auf den Pulten. So bin ich sicher, dass die Überlebenden ihre Zimmer im Slough House wieder beziehen und die feuchten Wände nicht mehr flüstern werden. Wenn doch, dann ein frohlockendes leb weiter, leb weiter. Daran glaube ich ganz fest. Reales Unglück gibt es genug, da werde ich mich doch nicht auch noch mit dem fiktiven belasten.
Mick Herron: Slough House, aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. 432 Seiten, Diogenes 2024. € 19,60. E-Book € 15,99
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